Stephan Maus

Gaza-Blockade: Henning Mankells Schiffstagebuch (stern)

Als am 20. Mai die Meldung kam, der schwedische Krimi-Autor Henning Mankell wolle zusammen mit 500 weiteren Aktivisten versuchen, an Bord einer Solidaritätsflotte die israelische Seeblockade vor Gaza zu durchbrechen, dachte ich erst: “Nun ja, der gute Mensch von Göteborg schon wieder. Wahrscheinlich hat er eine Doppelkabine mit Bono von U2.”

Einen Kaffee später dachte ich: “Protest-Frachter, seltsame Aktivisten, Mondschein auf nächtlichem Mittelmeer, Gaza, Israel, Hamas und Mossad. Und mittendrin Mankell, der gerade erst in seinem jüngsten Roman “Der Feind im Schatten” seinem Kommissar Wallander für immer Adieu gesagt hatte. Da kommt doch schon ganz gut was zusammen. Das ist doch eine tolle Geschichte.”

Ich griff zum Telefon. Ich wollte unbedingt mit Mankell nach Gaza. Ich sah mich schon bei gemäßigtem Seegang mit dem Bestsellerautor über den Abschied von seinem Alter Ego plaudern, über politisches Engagement und Gutmenschentum, während im frühmorgendlichen Glast am Horizont das Gelobte Land langsam Form annahm. Und wer weiss, was beim Durchbrechen einer Seeblockade noch so alles passieren konnte. Ich setzte alle Hebel in Bewegung, um mit Mankell zusammen an Bord des schwedischen Schiffes zu kommen. Erst sah es auch ganz gut aus. Doch schließlich hieß es: “Kein Platz mehr. Sorry, nichts zu machen.”

Als ich keine Ruhe geben wollte, bot man mir schließlich an, auf einem anderen Schiff an der Aktion teilzunehmen. Aber da ich nun mal Kulturjournalist und nicht Auslandsreporter bin, brauchte ich die Nähe zu Mankell während der Seefahrt, sonst wäre es keine Geschichte mehr für mein Ressort gewesen. Ich musste also absagen.

Mit Mankell vereinbarte ich, dass er exklusiv für den “stern” ein Schiffstagebuch führen sollte: über die Atmosphäre auf den Schiffen, die Aktivisten, seine persönlichen Beweggründe und alle Ereignisse erst zu Wasser und später dann zu Land. Dann war erst einmal lange nichts mehr von Mankell zu hören.

Am Dienstag, den 31. Mai, kam morgens dann die Meldung, Israel habe mit einer Kommando-Aktion den Konvoi gestoppt, eine ungewisse Zahl von Aktivisten getötet und die restlichen gefangen genommen. Erst abends hiess es, Mankell sei unverletzt. Einen Tag später erfuhren wir dann, dass Mankell wie vereinbart seinen exklusiven Tagebuch-Text liefern würde. Dazu verabredeten wir noch ein Interview mit dem Autor, um ihn auch mit jenen Vorwürfen konfrontieren zu können, auf die er in seinem Text nicht unbedingt eingehen würde.

Das Gesamtpaket erschien am Donnerstag, den 10.06.2010, im “stern” (Heft 24).

Dies ist die Pressemitteilung:

Henning Mankell im stern: „Der schlimmste Terrorist ist in diesem Fall Israel“ – Schriftsteller schildert das Drama an Bord des Gaza-Hilfskonvois im exklusiven Tagebuch

In einem detaillierten Tagebuch schildert der der schwedische Erfolgsautor Henning Mankell im “stern” seine Erlebnisse an Bord des von israelischen Soldaten angegriffenen Gaza-Hilfskonvois – und richtet harte Vorwürfe an die israelische Armee. „Die Soldaten sind ungeduldig und wollen uns unten an Deck haben. Als jemand sich zu langsam bewegt, bekommt er sofort eine elektrische Pistole gegen den Arm. Er fällt“, schreibt Mankell in dem Tagebuch, das das Hamburger Magazin in seiner neuen, am Donnerstag erscheinenden Ausgabe exklusiv veröffentlicht. „Ein anderer Mann, der sich auch langsam bewegt, wird mit einer Gummikugel beschossen“, schreibt Mankell weiter.

Mankell war einer von 700 Aktivisten an Bord von sechs Schiffen, die 10.000 Tonnen Hilfsgüter nach Gaza bringen und damit Israels Boykott des schmalen Landstreifens brechen wollten. Die Israelis stoppten den Konvoi, töteten neun Menschen und nahmen die anderen gefangen. In einem Interview mit dem stern streitet Mankell entschieden ab, von radikalen Fundamentalisten als Alibifigur missbraucht worden zu sein: „Ich fühle mich in keiner Weise benutzt. Niemand benutzt mich. Ich wusste genau, was ich tat.“ Das Fazit der Solidaritätsaktion ist für ihn klar: „Der schlimmste Terrorist in diesem Fall ist Israel“, sagt der Bestseller-Autor.