Stephan Maus

Axel Marquardt: ‘Anselm im Glück’ (SZ)

Autoreferenzscherzkeks - Axel Marquardt gibt den Filou: “Anselm im Glück” (SZ, 30.07.04)

Der Anselm. Hochverschuldet, aber dennoch ein Bonvivant. Intellektuell verspielt, doch wohlgelitten auch bei den dumpf stierenden Suffbirnen unten in der Hafenpinte. Wundervoll, all die Hafenpinten mit ihren urwüchsigen Gestalten, die das Leben so anspült Kraft seines gewaltigen Springtidenhubs zwischen Daseinsflut und Sinn-Ebbe. Das Leben. Unser Anselm. Immer mit dem Rücken zur Wand. Aber immer auch einen Joker im Ärmel. Kurzum, der Anselm ist ein rechter Filou. Solche Männer haben wir gern.

Anselm ist in der Patsche. Dispo am Limit, zwielichtige Inkasso-Mafiosi an den Hacken. Gut, daß die Faxmaschine die rettende Nachricht ausspuckt: Anselms Konzept zu einer TV-Soap ist der Brenner. Deus ex Faxmachina. Brüsseler Freunde haben das Konzept an die Bavaria verkauft. Was für ein Konzept? Anselm, Anselm: Na das, was du vor Wochen im Vollrausch auf den Bierdeckel gekrakelt hast. Irgendwann macht der Alkohol noch deinen Kopf kaputt, Anselm. Wäre schade drum, wo doch immer so tolle Ideen drinne stecken. Anselm macht sich vom Norddeutschen aus auf den Weg nach Brüssel, um zusammen mit den Freunden an der Soap zu schreiben.

Und nun nimmt auch Marquardts Soap ihren unaufhaltsamen Lauf. Starring: bräsige Werber, abgehalfterte Playboys, schlecht bis gar nicht im Bewußtsein haftende Abziehbildchen aus der Sparte „organisiertes Verbrechen“, amerikanische, belgische und italienische Mafiosi, knackige Kellnerinnen, ein hochintelligenter irischer Wolfshund und allerlei zwielichtige Gestalten. Marquardt liebt zwielichtige Gestalten. Seine fade Schelmenposse verquirlt alle kitschigen Stereotypen vom verrückten Leben wie es draußen vor sich hintoben soll in den ollen Pinten, an den europäischen Grenzübergängen oder in den Villen hoch oben im Zyperessenhain. Klar, alles nur zum Spaß. Aber Spaß ist für gewöhnlich lustig.

Durch das unverbindliche und hundert Prozent nicht amüsante Capriccio schimmern all die heimlichen Wünsche, die sich jeder durchschnittlich abgebrannte Autor nach dem vierten Pils so wünscht: Klar ist Fernsehen dumpf. Aber trotzdem wäre der Schotter für ein Treatment natürlich der Traum. Was sind Werber für blöde Hammel. Doch Schampus schmeckt einfach besser als Dosenbier. Am lässigsten wäre natürlich Ghostwriting für einen reichen Ganoven. Daß man diese feuchten Autorenträume schon hundert Mal gehört hat, macht sie nicht komischer. Die ergreifende Kitschmoral von Marquardts dünner Geschicht aber ist, daß das Leben fast schon ein so komischer Kauz wie Axel Marquardt ist, und daß es sich durchaus meistern läßt mit der Hilfe von ein paar skurrilen Kumpels, wie sie komische Käuze generell so anziehen.

In den ersten Sätzen dieser Suff-Pittoresken liest man noch von verklebten Äuglein, die sich nicht recht öffnen wollen: „Der erste Versuch, seine Augen zu öffnen, schlug fehl; irgendein Klebstoff hielt die Lider hartnäckig fest. Er versuchte es noch einmal und dann ein drittes Mal, und da endlich sprang der rechte Augendeckel hoch und gleich danach auch der linke.“ Und nach diesem einleitenden Augendeckel-Ulk beginnt bei Marquardt auch schon gleich das große Augenzwinkern. Diese Attitüde des schreibenden Filou, der sich partout als Meister der literarischen Hochkomik inszenieren will, macht dieses flache Vaudeville-Stück so unerträglich. Gegen die verspielte, leichte Muse ist gar nichts einzuwenden. Aber Muse sollte es schon sein, und nicht nur uninspiriert gackerndes Funkemariechen.

Marquardts Plotführung wird von närrischer Willkür gesteuert, die nicht etwa das Ergebnis einer überbordenden Phantasie ist, als das sie sich ausgibt, sondern einfach nur von dramaturgischer Einfallslosigkeit zeugt. Mechanisch jagt der Autor seinen Helden in immer neue Spitzkehren. Je lauter die Reifen dabei quietschen, desto mehr Spaß hat der Autor. Leider nur der Autor. Das mag als ironische Brechung von jenen Soap-Strukturen gemeint sein, die der abgebrannte Held zu seinem Unterhalt bemühen möchte. Aber Marquardt spielt eben nicht geschickt mit den populären Erzählmustern, sondern stoppelt seinen Text einfach nach denselben dumpfen Rezepten zusammen, nach denen auch die Vorabendserien geköchelt sind. Warum lesen, was man auch gucken kann? Auch französischen O-Ton hätte Marquardt lieber lassen sollen, denn Franzosen sprechen oft erstaunlich korrektes Französisch.

Weil der Autor nicht nur Filou, sondern auch Autoreferenzscherzkeks ist, taucht immer mal wieder die Figur eines Dichters auf, der Marquardts fiktionaler Doppelgänger sein soll. Gegen Ende setzt sich dieser Dichter hin und schreibt Anselms Geschichte nieder. Weil sein Verleger erst einen Roman von ihm möchte, bevor er seinen nächsten Gedichtband veröffentlicht. Es gibt nur eine akzeptable Rechtfertigung für diesen unsinnigen Roman: Marquardt muß nun schleunigst einen wirklich sehr guten Gedichtband hinlegen. Sonst wird man ein, zwei Inkasso-Mafiosi in Axel Marquardts und Gerd Haffmans Stammpinte unten am Hafen schicken müssen.

Bevor sich Marquardt nun aber ans Dichten macht, sollte man unbedingt aufhören, ihm einzureden, er sei ein lustiger Kauz. Denn liest man einen seiner letzten Verse, auf den er so stolz ist, daß er ihn gleich in diesen Roman und auch noch auf dessen Klappe hat drucken lassen, steht Schlimmes zu befürchten: „Morgens wenn ich früh aufsteh / dann tut mir meine Birne weh.“ Abends wenn ich Marquardt les / gärt im Kopf ein übler Käs.

Irgendwann geißelt Marquardt schließlich noch Sylt. Wieso eigentlich Sylt? Das ist doch sowieso bald weggeschwemmt. Irgendwann biegt dann auch noch Naddel um die Ecke. Oder war’s Arabella Kiesbauer? Wurscht, passons, nevermore said the raven. Und nachdem Marquardts satirischer Bannstrahl schon unglaublich gnadenlos durchs wahnsinnig dumpfbackige Werbermilieu gefuhrwerkt ist, trifft er letztendlich auch noch auf Dieter Bohlen. Der Dieter. Noch so ein Filou. Anselm, Anselm.


Axel Marquardt: Anselm im Glück. Roman, Gerd Haffmans bei Zweitausendundeins, Frankfurt a. M. 2003, 191 S., 10,00 Euro