Literaturpreise, das versteht sich von selbst, sind lächerlich. Stipendien ebenso. Hätte Heinrich Heine den Förderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung entgegen genommen? Borges den Bremer Literaturpreis? Hätte Nabokov in Klagenfurt gelesen? Hätte sich Gerhart Hauptmann ins Esslinger Bahnwärterhäuschen zurückgezogen, um seinen Thiel zu schreiben? Hätte sich Rimbaud für drei Monate mit zehn weiteren Dichtern in der internationalen Künstlerkolonie Schloß Wiepersdorf einquartieren lassen? Eben.
Literarische Preise und Stipendien erniedrigen und verhöhnen den Autor, statt ihn zu ehren. Die kommunale Käfighaltung von Autoren ist ein viel zu wenig beachteter gesellschaftlicher Mißstand. Auch ist es unstatthaft, in öffentlichen Dankesreden seine Verwandtschaft mit Büchner, Heine und Co herbeizulügen. Ebenso traurig: Irgendeine städtische Sparkasse stiftet eine Summe in der Höhe des Monatsgehaltes einer ihrer Putzfrauen und verlangt dafür vom Dichter ein PR-Gerede in einer neongrellen Mehrzweckhalle, für das sie bei einer Werbeagentur das Zehnfache bezahlen müßte. Imagetransfer nennt sich diese Korrumpierungsprozedur. Oder ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender castet ein halbes Dutzend Romanciers, die aus ihren Kladden vorlesen müssen, um sich gegenseitig aus dem Rennen zu werfen. Wenn schon Panem et Circenses, dann lieber sexy Casting-Opfer, die im feucht-dampfenden Dschungel lasziv an Fischaugen saugen. Alljährlich läßt ein profitgieriges Buchhändlerkartell den unvermeidlichen Günther Grass einen Klumpen Metall malträtieren, um letzteren dann einem zwielichtigen Protagonisten aus den Bestsellerlisten zu verleihen, dessen Berufung darin besteht, Sprachklumpen zu malträtieren.
Ich bitte hiermit alle Jurys, mich von ihren Nominierungslisten zu streichen. Für jetzt und immerdar. Büchnerpreis will ich nicht, sonst muß ich irgendwann noch wie Durs Grünbein schreiben. Ich will in Klagenfurt weder Fußball spielen noch im Wörthersee veralgen. Mein bescheidener Beitrag zu den gewaltigen Reformanstrengungen unserer Republik besteht in dem Vorschlag, sämtliche Literaturpreise und Autorenförderungen aus dem Finanzhaushalt zu streichen. All die herrlichen Autobahnen, die man von dem Geld bauen könnte.
Dieser Akt literarischen Harakiris kostet mich nicht allzu viel Mut, denn der einzige Literaturpreis, den ich wirklich von ganzem Herzen begehre, wird von einer japanischen Jury im Rahmen der „International Kusamakura Haiku Competition“ verliehen. Ich entdeckte diesen Haiku-Wettbewerb an einem Morgen im vergangenen Jahrhundertsommer. In der Nacht zuvor hatte ich eine Art hitziger Epiphanie gehabt. Bei offenem Fenster wälzte ich mich nackt unter einem dünnen Baumwollaken. Mein Selbstbewußtsein sendete mir im Stand-By-Modus unscharfe Bilder eines etwas anzüglichen Indiana Jones auf tropischer Mission in meinen unruhigen Schlaf. Moskitonetze, Insekten, Grottenlabyrinthe, erfüllt mit tropischen Klängen. Weit nach Mitternacht wurden meine wirren Dschungelträume von spitzen Schreien und hochfrequenzigem Fiepen durchwoben. Immer stärker woben die Töne, bis sie sich schließlich zu einem festen Trampolin gefügt hatten, auf dem ich kraftvoll aus meinem Schlaf und aus meinem Bett in die Mitte meines Schlafzimmers sprang. Noch im Halbschlaf und schwitznaß stand ich im Zentrum eines kompakten Hitzeblocks und lauschte nach dünnen Stimmen. Draußen auf der Straße, im Niemandsland des ehemaligen Mauerstreifens, in der Häuserschlucht zwischen Prenzlauer Berg und Wedding, tönte es. Pfeifend. Fiepend. Zirpend. Irgendwas. Aber was?
Ich tastete nach meiner Brille, trat ans offene Fenster und spähte ins Dunkel. Nichts. Doch jetzt drang sogar ein Flappen an mein Ohr, ein recht hektisches Flattern sogar. Mit der Wachheit kam die Erkenntnis: es flappte in meinem Schlafzimmer. Erst jetzt kam der Schreck. Ich machte Licht. Drei Fledermäuse zogen im oberen Drittel meines Schlafzimmers panische Bahnen. Sie waren durch das kleine Erkerfenster hereingekommen und fanden nicht mehr hinaus. Das enttäuschte mich ein wenig. Ich dachte immer, Fledermäuse hätten präzisere Flugleitsysteme als amerikanische Mittelstreckenraketen. Nach einigem ungelenken Armgefuchtel, das mir bewies, daß ich als Fledermausfluglotse wenig tauge, ging ich geduckt zu meinem Bett zurück, legte mich auf den Rücken und beobachtete die faustgroßen Tiere bei ihren Flugkunststücken. Ein perfektes Team. Top-Gun. Leider fand Tom Cruise nicht mehr aus meinem Schlafzimmer heraus. Ich bin dann unter dem feinmaschigen Radarmoskitonetz der Fledermäuse wieder eingeschlafen. Der Morgen brachte die Zweifel: Keine Fledermaus weit und breit. Alles nur ein Traum? Bis ich an meiner Schlafzimmerwand zwei kleine Kügelchen Fledermauskot kleben sah.
Bei der literarischen Verarbeitung meiner Fledermausnacht experimentierte ich mit komplizierten Bildern von Vektoren, schlecht assimiliertem Halbwissen über Schallfrequenzen und manieristischen Vergleichen, in denen metaphysische Billard- und gefiederte Flipperkugeln klickten. Alles in allem eher albern und nicht besonders preisverdächtig. Schließlich führte mich die konzentrierte poetische Kraft des Fledermauskots an meiner Schlafzimmerwand zum Prinzip der literarischen Reduktion. Meine Epiphanie mußte in ein Haiku gegossen werden. Logisch. Aber was war ein Haiku noch mal? Meine Recherchen im Netz führten mich auf die Website der „Eighth International Kusamakura Haiku-Competition“.
Seit 1996 wird dieser japanische Wettbewerb zu Ehren von Natsume Sosekis Ankunft in Kumamoto abgehalten. Schön, daß Soseki doch noch in Kumamoto angekommen ist. Doch wer war Soseki noch mal? Richtig, Essayist und Romancier, Meister der psychologischen Fiktion. Schon sah ich mich in der neongrellen Mehrzweckhalle der Stadt Kumamoto für ein Preisgeld von knapp 400 Euro vor surrenden Fernsehkameras meine enge Verwandtschaft mit Natsume Soseki herleiten. Kenne nicht auch ich jene schmerzliche Erfahrung, aus dem Schoße einer verarmten, aber traditionsreichen Samurai-Familie in die moderne Gesellschaft geworfen zu werden? Habe nicht auch ich, Roshi Maus, schon mit dem Gedanken gespielt, einen ganzen Roman aus der Perspektive einer Katze zu schreiben? Nicht einmal die frei schwebende Verdauungsprozedur der Fledermäuse ist meinem literarischen Schaffen fremd. In inniger Verbundenheit mit Natsume Soseki würde ich in Kumamoto den Kusamakura Taishou, den Grand Price der „International Section“, entgegennehmen.
Der Einsendeschluß für die internationalen Teilnehmer war noch am selben Abend. Ein weiterer Fingerzeig, wie mir schien. Insgesamt machte das schon recht viele Epiphanien für die Sommerpause. Aber es war ja schließlich auch ein Jahrhundertsommer. Umgehend verfaßte ich ein Haiku in englischer Sprache. Leider spreche ich nur ein recht improvisiertes Fledermaus-Englisch, aber Haiku mußte sein. So entstand das folgende, naturverbundene Kurzgedicht „aus drei Zeilen zu 5-7-5, also zusammen 17 Silben mit heiter skizzierter Pointe“, wie Gero von Wilperts „Sachwörterbuch der Literatur“ doziert:
A hot summernight
Three bats in my white bedroom
Shit-spots on the wall
Heitere Pointen skizzieren und nach Japan senden war eins. Drei Fledermäuse, drei Zeilen. Nach sechs Monaten hat nun endlich die Jury entschieden. An einem schäbigen Februarmorgen liegt das Magazin mit den Gewinner-Beiträgen und einigen ausgewählten Haiku in meiner Post, abgestempelt vom „Bureau de Poste Kumamoto Higashi Japon, taxe perçue.“ Schon dieser Poststempel ist ein Haiku. Nur der Transportvermerk ist irreführend: „Par avion.“ Von wegen „par avion“: „par chauve-souris“! Ein freundlicher Sommergruß, eingeflogen per Fledermauskurier. Zum ersten Mal sehe ich meinen Namen in japanischen Schriftzeichen. Allein das war es schon wert. Herr Yoshinori Kanesaka hofft, daß ich bei guter Gesundheit bin und dankt Herrn Maus aufs Eloquenteste für die drei Fledermäuse. Ich glaube nicht, daß Herr Kanesaka anfällig für Wortspiele ist. Bis auf die „International Section“ ist das Magazin in Japanisch. Fiebrig suche ich nach Schriftzeichen, die einer Fledermaus ähneln. An dem Literatur-Wettbewerb haben auch viele Kinder teilgenommen. Manche haben ihre Haiku in bunte Manga-Zeichnungen kalligraphiert. Die Tradition lebt. In diesem Land muß man sich als Samurai-Sprößling nicht ganz so fremd fühlen. Das Magazin ist ein sehr schöner Druck, in dem es viel zu schauen und wenig zu verstehen gibt. In der „International Section“ fallen die Kirschblätter in den Spiegel schlafender Seen, und auch der Mond gibt sich bewußt international und schläft und träumt und glänzt über Ost und West.
Meine Fledermäuse haben den International Kusamakura-Preis leider nicht heimgeholt. Doch Herr Kanesaka freut sich schon auf meinen nächsten Beitrag. Wenn ich allerdings nächstes Jahr den Haiku-Wettbewerb wieder nicht gewinne, werde ich eine mißgelaunte Polemik gegen japanische Literaturpreise verfassen müssen.