Stephan Maus

Hommage auf François Rabelais anläßlich seines 450. Todestages (FR)

Vaterriese Gargantua und Sohnesriese Pantagruel sitzen an einem üppig gedeckten Frühstückstisch, der aus dreiunddreißig Hektar guten savoyischen Tannenwaldes gezimmert ist. Sie trinken Kaffee mit pasteurisierter Einhornmilch (Vollfettstufe) aus einem Trinkwasserreservoir, das Pantagruel bei seiner Eroberung von Neu Delhi vom Dach eines dachsfrechen Immobiliennabobs heruntergerissen hatte. Der Nabob war ein unziemlicher Scheißdochdrauf gewesen, dem Pantagruel unter einer Yuccapalme die Leviten gelesen hatte. Eine Vogelspinne war einziger Zeuge des Duells gewesen. Die ehrbaren Bürger Neu Delhis hatten es dem tapferen Pantagruel gedankt, sie von sämtlichen Slumtyrannen befreit zu haben, denn diese Nabobs waren ihnen eine Stadtplage gewesen.

Pantagruel hatte sich am indischen Neujahrsfest auf einen Hügel im Osten Neu Delhis gestellt und sich die vier Hektoliter Mango-Lassi vom letzten Nachtmahl aus seiner nashorngroßen Harnblase gepinkelt. Sturzbäche waren die Straßen heruntergeflutet, und alle dachsfrechen Immobilienmakler waren aus der Stadt geschwemmt worden. Nun war Neu Delhi insgesamt wieder nabobbefreit und eine prächtige Stadt mit lebenswerten Wohnlagen. Noch vor Pantagruels Abflug in seine Heimatstadt Chinon im Arrondissement Indre-et-Loire hatte man einen Flughafen nach ihm benannt. Gestern oder vorgestern, keine Ahnung, war er wieder heimgekehrt in den stattlichen Sommerpalast seines Vaters Gargantua. Er hatte geschlafen wie eine trächtige pfälzische Sau, geschnarcht wie ein polypenkranker Wapiti und dabei zwölf chilenische Flugechsen, dreizehn Orang-Utans und zweihundert Ninja-Turtles verschluckt, die sich in der Nacht in sein offenstehendes Maul hinabgelassen hatten.

Doch Pantagruel hat immer noch Hunger an diesem schönen Aprilmorgen. Beide Riesen nagen an einem heizkellergroßen Wildschweinschinken, schlürfen nebenher süß-saures Kuttelmüsli aus einem aufblasbaren Kinderswimmingpool und blättern in fettverschmierten Unterlagen und bierbesudelten Schriftstücken. Eine Schweizergarde aus ihrem Gefolge schaufelt ihnen nach jedem dritten Bissen eine Ladung Dijon-Senf in die schmatzenden Mäuler. Sie lesen sehr konzentriert, denn sie sind gelehrte Riesen. Die gelehrtesten Riesen, die man sich vorstellen kann.

Gargantua: Sohnematz aller Sohnemätzchen, schließ dein Hosenlätzchen und hör mir zu. Eierkopp aus Eierköppehausen, lieb schwammiges Bierwammerl, mein rustikaler Piesepampel, genuinster Golem aus meinem gargantuesken Genpool, schau mal in dieses Kalendarium hier.

Pantagruel: Was sollen die Faxen, Gevatter? Was deucht mich dein Filofax, altväterlich Hundsföttchen? Welches Datum soll so wichtig sein, daß ich von dieser dreifach geräucherten und köstlich präparierten Wildsau hier lasse? Feiert der Papst heute Hochzeit? Wird der Pole zum Islam konvertieren? Ist der Esel des Kurienkardinals mit einem Papageien in der Krypta des Petersdoms niedergekommen?

Gargantua: Junge, hat dir der flatulierende Beelzebub in die rechte Ohrmuschel gefurzt? Hast du heut Nacht des Teufels drallen Höllenarsch als Ruhekissen benutzt? Was bist du denn so humorig? Wenn du sprichst, klingeln dreitausend Narrenschellen unter deiner Zunge.

Pantagruel: Mag sein. Bei der Mutter Kotes, es ist Karneval in meinem Schädel, der Hirnzirkus tobt noch wilder als sonst, Vater. Diese Nacht ist mir eine Armee von wunderlichen Visionen durch den Schlaf tornistert. Den II. Peleponesischen Wurstkrieg mußte ich bezeugen, die grausamen Schlachten der Knoblauch-Fleischwürste gegen die schröckliche Übermacht der Blut- und Leberwurstbataillone.

Gargantua: Dein Traumkarnaval wundert mich nicht, Pantagruel. In diesem Kalendarium steht der Grund.

Pantagruel: Nun sag mir deinen Kalenderspruch und laß mich in Frieden meinen Schinken genießen.

Gargantua: Pantagruel, laß uns des Alten gedenken.

Pantagruel: Von was für einem Alten redest du? Was bist du so feierlich? Gehörst du nun zu der Loge der Windschlucker und Worthülsensouffleure? Bist du narrisch geworden? Hast du Ganglienblähungen? Fahren dir die Darmwinde vergangener Traumgesichter durchs Oberstübchen? Was für eine Schweinsblase wackelt auf deinem Hals? Der einzige Alte, den ich kenne, sitzt pfeilgrad vor mir, rezitiert mir seit zehn Minuten seine Filofaxen und hindert mich am Haxenschmatzen.

Gargantua: Unser Schöpfer ist heute vor 450 Jahren gestorben.

Pantagruel: Ich dachte, der wäre unsterblich und hätte deswegen seinen Sohn vor zweitausend Jahren von den Römern ans Kreuz nageln lassen.

Gargantua: Pantagruel, reiß das Maul nicht so weit auf. Sonst kommt gleich die ganze Pfaffenversammlung und pflückt dir die Sau vom Teller.

Pantagruel: Ich dachte, du redest von Gott.

Gargantua: Ich rede von Gott. Unserem Gott. Dem einzigen, dem wir etwas schuldig sind: François Rabelais.

Pantagruel: Kenn ich nicht. Ein Metzger? Mundschenk? Suppenkoch? Bäckermeister, Konditor, Tortenpanscher, Hurengrabscher, Rappelkoppabwatscher?

Gargantua: Er hat uns geschrieben.

Pantagruel: Uns geschrieben? Was noch? Hat er auch diesen Wildschweinschinken hier geschrieben?

Gargantua: Alles. Riesen, Schinken, Zechgelage, Fluchtiraden, Zoten, Abzählreime, Volkslieder.

Pantagruel: Rabelais hat uns geschrieben? Klingt narrisch. Erzähl, mein ranziges Käsegehirn.

Gargantua: Wir sind die Riesen Pantagruel und Gargantua und kamen aus der Feder von Rabelais geflossen.

Pantagruel: Schon mal besser als aus einem Schmeichlerarsch gekrochen zu kommen. Aus welcher Feder kam dieser Rabelais geflossen?

Gargantua: Aus dem brünftig pulsierenden Federkiel seines Vaters, dem Anwalt Antoine Rabelais. Rabelais kommt um 1490 zur Welt, nachdem sein Vater mit seinem Weibe Arschklemmen gespielt hat.

Pantagruel: Ha, sie haben das Tier mit den zwei Rücken gemacht!

Gargantua: Haben die Schwarten aneinandergerieben. Auf dem bescheidenen Bauernhof La Devinière bei Chinon. Steht heute noch.

Pantagruel: 1490. Schwartenkrachende Renaissance. Was macht man so in der Renaissance?

Gargantua: Pantagruel, du schmalzleuchtendes Schweinsgesicht, du schwartenlichternde Speckvisage, schmatz nicht so. Irgendwann bleibt dir noch deine Raspelzunge am Gaumengewölbe hängen. Dann kannst du dein gieriges Maul noch so weit aufreißen, du kriegst keinen Schluck Liebfrauenmilch mehr die Kehle hinab. Rabelais wird erst einmal Mönch.

Pantagruel: Pfui Pfaffe! Ein Kuttenscheißer soll uns geschrieben haben? Lieber noch krieche ich aus korinthenkackenden Kritikerkaldaunen.

Gargantua: Gemach, mein Sacklausbübchen, gemach. Bei den Franziskanern lernt er eine Bande junger Humanisten kennen. Sie studieren Griechisch, debattieren unter freiem Himmel und entdecken die Antike.

Pantagruel: Hoho, unterm Lorbeerbaum kreist die Schweinsblase voller guten Loire-Weins. Ätherisch steigt der Geist Athens aus dem Saufbeutel. Oden, Hymnen, Symposien. Bacchanalien, Saturnalien. So gefällt er mir schon besser, dein Rabelais.

Gargantua: Dir schon. Aber nicht seinen Klosterbrüdern. Er bekommt Schwierigkeiten und wird zu den Benediktinern strafversetzt. Pantagruel: Spielen Mönchlein wechsel dich. Hölle. Noch so ein Haufen Grimmgesichter.

Gargantua: Er hat schnell genug von den Betbrüdern. Rabelais hängt seine Kutte an den Nagel und zieht erst nach Paris, dann nach Montpellier, um Medizin zu studieren.

Pantagruel: Ein Bohémien?

Gargantua: Mit Abschluß. Er ist einer der Ersten, die vor Publikum einen Leichnam sezieren. Rabelais will unter die Oberfläche, will sehen, wie der Mensch gebaut ist. Er sucht auch in der Medizin das substanzhaltige Mark, „la substantificque moelle“, das der Leser in seinen Texten suchen soll.

Pantagruel: Seine Bücher sind Markkloßsüppchen? Schmackofatz, glou, glou, miam, miam. Langsam habe ich genug von diesem öden Wildschweinschinken.

Gargantua: 1532 läßt sich Rabelais als Arzt in Lyon nieder und wirft seinen Namen in den Buchstabenmixer.

Pantagruel: Scrabblet sich einen.

Gargantua: Puzzlet sich zwei. Und heraus kommt das Anagramm Alcofribas Nasier. Unter diesem Pseudonym beginnt er, seine Grotesken zu veröffentlichen.

Pantagruel: „Alco-“ wie Bier, Schnaps und Wein. „Nasier“ wie Nase.

Gargantua: Ab jetzt wird Rabelais in Worten schwelgen wie im Rausch und der Welt eine Nase zeigen. Alcofribas Nasier, Abstrakteur der Quintessenz.

Pantagruel: Was war das genau für ein Buchstabenmixer?

Gargantua: Buchstabenmixer?

Pantagruel: In den er seinen Namen geworfen hat.

Gargantua: Ah, mein strammes Hosenscheißerchen gibt acht. Tätschel, tätschel, kille, kille.

Pantagruel: Also, dieser Mixer? Konnte man damit auch Erbspüree mit Speckeinlage machen? Apfelbananenkiwi-Milkshakes?

Gargantua: All das und noch viel mehr. Der Mixer bestand aus dem Faß des Diogenes, in dem der Spazierstock des Sokrates als Rührstab und die messerscharfe Zunge des heiligen Sankt Nasenhaarspalterius´ als Häckselklinge steckte.

Pantagruel: Saperlott, der alte Nasenhaarspalterius aus Popelfurt am Rotzkanal. Bei meiner Treu, das schlägt dem Faß den Boden aus, da haut´s dir glatt die Fotz vom Teller.

Gargantua: Rabelais füllte das Faß des Diogenes mit gut vergorenem Loire-Wein und mischte alles hinein, was er an Kultur seiner Zeit finden konnte. Dazu noch wie jeder Humanist das Erbe der Antike, dreiunddreißig schlachtfrische Gelbwürste vom Metzger Grass aus Bönstadt, einen badischen Saumagen und die gesammelten Schriften des Plinius. Daraus kochte er seine gesammelten Werke. Maître Alcofribas Nasier zog eins nach dem anderen aus seiner appetitlich dampfenden Tonne: Pantagruel (1532), Gargantua (1534), das Dritte Buch (1546), das Vierte Buch (1552) und postum noch das Fünfte Buch (1564), von dem man nicht recht weiß, ob es von ihm ist.

Pantagruel: Ein putziger Pentateuch. Nach den fünf Büchern Mose die fünf Bücher der Riesen.

Gargantua: Er ist ein Schreibmonster, das die Monster liebt. Seine Helden sind die grotesken Gestalten der Jahrmärkte. Mit Händen so groß wie Klodeckeln schöpft er aus dem reichen Fundus der volkstümlichen Kulturen. Er kennt keine Schranken, benutzt alle Formen, handelt alle Themen ab. Niemand ist freier als er. Er setzt die Vernakulärsprache Französisch an die Stelle des Wissenschaftler- und Theologenlateins. Erstmals wird die Nomenklatur der Welt in der Vulgärsprache gemacht, nicht mehr in offiziellem Latein. In bunkerbrechender Bescheuertheit verbieten die Theologen der Sorbonne jedes seiner Bücher.

Pantagruel: Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren.

Gargantua: Er gibt den Windbeutelschneidern von der Sorbonne unzählige Gelegenheiten, sich lächerlich zu machen. Sie nutzen sie alle. Nach dem zweiten Buch schweigt er zehn Jahre. Er begleitet den humanistisch gesonnenen Kardinal Jean du Bellay nach Rom. 1542 findet er eine Anstellung bei König Franz I. Unter der königlichen Protektion wagt er sich an die Fortsetzung seines literarischen Werkes. Das „Dritte Buch“ wird das erste, das Rabelais unter seinem wirklichen Namen veröffentlicht. Wieder verbieten die Sorbonne-Priester das Buch. Rabelais flüchtet nach Metz. Er hat nichts von seiner humanistischen Verve und seiner aufklärerischen Polemik verloren. Er kennt alle großen politischen, religiösen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fragen aus der Nähe. Er hat enge Kontakte zu Diplomaten, Kardinälen und Forschern. Alle Debatten seiner Zeit fließen in sein enzyklopädisches Werk ein, ohne daß er jemals zum hochtrabenden, gesalbten Dichterpriester wird. Niemals autoritäres Joschka-Fischer-Gehabe. Alles handelt er unter dem Narrenkostüm der Farce ab. Immer bleibt er den grotesken Formen der volkstümlichen Kunst treu.

Pantagruel: Er liebte seine Riesen!

Gargantua: Wir sind Metaphern seiner Poetik.

Pantagruel: Ei, ei, aufgepaßt, Eure hochwohlgeborene Sacklausigkeit! Was redest du daher? Hältst du deine Bewerbungsrede für die Jury des Bachmann-Preises? Willst du in den Kritiker-Klan der SFB-Bestenliste?

Gargantua: Unser riesiger Appetit und unsere Freßlust sind auch ein Bild für seinen unersättlichen Wissensdurst, der sich nicht nur auf die Bibliotheken beschränkt. Rabelais´ größte Inspirationsquelle sind die Formen des Karnevals und der volkstümlichen Kulturen. Die Straßenfeste, die Marktschreie der Händler, die Reime der Schausteller und Arzneiverkäufer. Er durchschreitet alle neun Kreise der Wortspielhölle, hebt den Wortschatz der Kartenspieler, Waffenschmiede und Architekten. Je präziser das Vokabular, desto besser gefällt es ihm. Er stopft seine Texte wie Mastgänse. In einer Passage reiht er 303 Adjektive aneinander, um das männliche Geschlechtsorgan zu bezeichnen.

Pantagruel: Beackert fruchtbare Wortfelder. Ist einer, der ins Füllhorn bläst.

Gargantua: Selbst die Worte stopft er voll, macht jedes zum bedeutungsdrallen Hanswurst. Er schreibt Wörter, die Frankreich noch nie gelesen hat. Man versteht sie und lacht befreit.

Pantagruel: Desincornifistibulé.

Gargantua: Esperruquancluzelubelouzerirelu.

Pantagruel: Morrambouzevesengouzequoquemorguatasacbac-guevezinemafressé.

Gargantua: Er schreibt die Lithurgie der Trunkenbolde, das Evangelium der Freigeister, das Neue Testament aller honorablen Pimperpillermänner und bacchantischen Bumsfidelen. Nichts unterscheidet sich mehr von rhetorischem Gleichmaß als Rabelais´ wild wuchernde Romane. Er sprengt alle Regeln, segelt immer hart am Gürteläquator.

Pantagruel: Zum Glück meist südlich davon.

Gargantua: Weil es so wichtig war, den Heiligen Ernst zu stürzen.

Pantagruel: Den unheilig Heiligen Ernst und seine piefigen Administranten in ihrem sauertöpfischen Kult um das lähmende Pathos.

Gargantua: Der berühmte Arzt der Renaissance hat fünf der besten Heilmittel gegen eine anämische, feige, stromlinienförmige Literatur in seiner Textapotheke. Er ist die Rettung vor allen Fräulein Rottenmeiers der Literatur. Nur Eunuchen, Kastraten und Flachlandrammler vermissen Harmonie, Ebenmaß, Kohärenz und Mäßigung in seinen Werken.

Pantagruel: Reichere Texte als Vaterunser, Short Stories und Berliner Debütromane bekommen diesen phlegmatischen Syphilitikern nicht. Ich scheiß ihnen was, puller ihnen dampfend die Kimme entlang.

Gargantua: Rabelais schaute dem Volk nicht nur aufs Maul, sondern stieg kurzerhand hinein, um es zu vermessen und zu kartographieren wie die Seefahrer seiner Zeit Amerika erschlossen.

Pantagruel: Ja, ich erinnere mich noch, wie er mir sechs Monate lang im Maul hockte und das Zäpfchen und die Mandeln kitzelte. Nur mit großem Geschiß bekam ich die Pulle ins Gebiß und konnte mir die Nieren spülen.

Gargantua: Er verwandelt das wohlgesittete platonische Abendmahl in eine zünftige Zecherei. Immer wieder kehrt er auf den Marktplatz, in die Tavernen und Säuferspelunken zurück. Hier findet er die ungeheure Freiheit, die Unverschämtheit, die alle dogmatischen Gewißheiten in einem lauten, rollenden, kehligen Lachen auflöst.

Pantagruel: Kehlig?

Gargantua: Kehlig. Schau dir unsere Namen an: Pantagruel, Gargantua. Ihr ethymologischer Ursprung liegt in der Kehle, durch die der Wein rauscht und das Lachen dringt. Fröhlich wird eine neue Zeit begrüßt. Die Renaissance ist für Rabelais der reine Karneval. Nicht das Winterende wird gefeiert, sondern der Ausklang des finsteren gothischen Mittelalters mit seinen quälenden Hieronymus-Bosch-Alpträumen. Nach asketischer Fastenzeit beginnt die Zeit der Maßlosigkeit. Rabelais macht Inventur zu Beginn einer neuen Epoche. Nach den Zwergen kommen die Riesen. Er hat das karnevalistische Lachen sehr ernst genommen, hat einen universellen Lachsack auf den Weltenthron gehievt.

Pantagruel: Hosenkack und Furzament! Ein echter Pantagruelist, ein wahrer Schelmuffsky, dein rabulistischer Rabelais!

Gargantua: Er hat alles gelesen, alles verwurstet: Von Aristoteles bis Zenon. Er hatte eine Dauerlesekarte in der Universalbibliothek.

Pantagruel: Beruhig dich. Alles gelesen? Joyce und Gadda ja wohl nicht.

Gargantua: James Joyce und Carlo Emilio Gadda auch. Ebenso wie Jean Paul, Laurence Sterne, Denis Diderot und Arno Schmidt. Er hatte eine prophetische Regenbogenhautverkrümmung auf seinem rechten Auge. Wenn es bei Vollmond leichten Nieselregen gab und die Venus Saturn im Aszendenten hatte, brach sich die Zukunft in seinem Auge. Er brauchte dann nur schnell die Augen zu schließen und konnte auf der fleischig schimmernden Liderleinwand Joyce lesen. So hat er dann auch geschrieben.

Pantagruel: Ein Literaturluder ganz nach meinem Geschmack.

Gargantua: Keiner versteht, woher er so viele Stile, Formen und Dialekte nahm. Die Fußnoten in seinen Büchern überwiegen den Textanteil. Die Rabelais-Forscher bilden eine neue Kabbala. Rabelais schrieb so dicht, daß man mit einem Wortspiel ein ganzes romanistisches Seminar bestreiten kann.

Pantagruel: Keiner versteht seine kreative Energie? Ich kann’ s mir schon denken. So geschah es nämlich, daß er sich am vierten Tag nach Pfingsten im Jahre 1523 den Arsch mit achtundsechzig parfümierten und gepuderten Hamstern abwischte, keiner hat’ s gesehen.

Gargantua: Ja, achtundsechzig Hamster. Oder zwölf Meerschweinchen. Es sei denn, es waren fünfhundert Biber.

Pantagruel: Scht! 45,25 dieser Hamster krochen ihm ungesehen durchs Zyklopenauge seines pausbäckigen Arschgesichts in den Unterleib, um in die Herzblutader zu steigen. Dann stiegen die Ha!-Ha!-Hakle-Hamster das Zwerchfell hoch bis oberhalb der Schultern (wo die genannte Ader sich zweiteilt) und kämpften sich bis in sein Gehirn, wo sie für den Rest seines Lebens in einem mit dänischem Griebenschmalz gefetteten Hamsterrad rannten. Das, liebe Gemeinde, war sein Dynamo, der ihm all seine kreative Energie lieferte.

Gargantua: Bis selbst die 45,25 Hamster nicht mehr konnten. Rabelais starb am 9. April 1553. Sein letzter Absatz beinhaltet fünfzehn Synonyme für „Scheiße“.

Pantagruel: Kacke.

Gargantua: Das letzte verbürgte Wort aus seiner Feder lautet „Beuvons!“, trinken wir.

Pantagruel: Das Wort eines Ehrenmannes. Die ersten Worte bei deiner Geburt waren „Trinken! Trinken! Trinken!“. So steht es geschrieben in der gargantuesken Chronik. Also, Ihr Hosenscheißerchen da draußen, lest François Rabelais. Zum Einstieg zum Beispiel den Roman über unseren lustig furzenden Ziegenarsch hier, meinen ehrwürdigen Vater Gargantua.

Gargantua: Ja, „Gargantua“, Reclam Verlag, 6,10 Euro. Moderne Übersetzung, handfester Kommentar.

Pantagruel: Lest Rabelais, Ihr fröhlichen Zecher, meine lüsternen Preßköppe. Lest Maître Alcofribas Nasier in der Disko, am Rande der Demo, in der Bahn auf dem Weg zum Generalstreik, im Bett Eurer biegsamen Konkubinen, auf dem Bidet Eurer straffen Liebhaber, am Tresen, unter der Theke, lest den Abstraktor der göttlichen Quintessenz, den Verfechter radikaler formaler Freiheit, damit er weiterhin so lebendig bleibt, wie er es seit 450 Jahren ist.

François Rabelais: Aber Moment noch, ihr Eselpimmel, auf daß euch der Schanker die Beine wegzieht, wenn ihr vergeßt, zu gegebener Zeit auf meine Gesundheit zu trinken – dann aber gebe ich euch auf der Stelle Genugtuung.

Pantagruel: Oh! Prost.

Gargantua: Prost, François. Wohlauf, trinken wir. Beuvons!


Bibliographie

Eine ausgezeichnete Einführung in das enzyklopädische Werk François Rabelais´ ist die brillante Studie des russischen Literaturwissenschaftlers Michail Bachtine: „Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur.“ Aus dem Russischen übersetzt von Gabriele Leupold. Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Renate Lachmann. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987.

Die erste deutsche Übertragung stammt aus dem 16. Jahrhundert von Johann Fischart und trägt den abenteuerlichen Titel: „Affentheuerlich naupengeheuerliche Geschichtsklitterung.“ Dieser sehr freie Text wird wohl immer noch am ehesten Rabelais´ wild wucherndem Genie gerecht. Eine sehr schöne Ausgabe des Textes ist in der Anderen Bibliothek im Eichborn Verlag erschienen.

Eine überarbeitete Übersetzung von Rabelais´ gesammelten Werken aus dem Jahre 1880 ist als Insel-Taschenbuch erschienen.