Stephan Maus

Ortstermin: Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung in Berlin (WDR)

Himmelfahrten. Die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung 2002 (WDR, „Kritisches Tagebuch“, 07.05.02; FAZ, 08.05.02)

„Und da er solches gesagt, ward er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr uns sehet gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird so kommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.“ So liest sich das christliche Publikumshighlight Himmelfahrt in der Apostelgeschichte des Evangelisten Lukas. „Bis 11:00 Uhr: Ankunft der fliegenden Besucher. 12:00 – 14:00 Uhr: Eröffnungsprogramm der Aussteller mit lärmarmem Fluggerät.“ So liest sich das Phänomen Himmelfahrt 2000 Jahre später im Programm der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung 2002, die am Montag auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld eröffnet wurde.

Die zivile Luftfahrt ist abgestürzt. In der Wirbelschleppe der Terroranschläge hat sich die Krise der Flugindustrie so zugespitzt, daß inzwischen 12 % der weltweiten Luftflotte unausgelastet auf dem Boden stehen. Doch wo das Zivile auf der Strecke bleibt, hilft das Militär. Unter dem Banner der Terrorbekämpfung wird auch der Luftraum aufgerüstet. Deswegen geht es der Flugindustrie gar nicht so schlecht. Und auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung läßt sie die Muskeln spielen. Fairchield Dornier ist down, aber Black Hawk, Apache und alle Eurofighter fliegen hoch.

Zwar noch nicht am frühen Morgen, denn da behindert dichter Nebel die Sicht, und die spektakulären Showflüge werden in den Nachmittag verschoben. Auf dem Rollfeld kann man derweil die Maschinen fürs Grobe besichtigen. Die Firma Airbus hat ihre Frühjahrskollektion nach dem Prinzip der russischen Puppen konstruiert. Der kleine Airbus paßt in das größere Modell, das wiederum in den monströsen Riesentransporter paßt, der sein Lademaul über dem Cockpit aufreißt wie ein gestrandeter Beluga-Wal, der nach Luft schnappt. Da paßt sicher viel rein, aber einen Design-Preis gewinnt man so nicht.

Zwischen den zivilen Luftgeräten, die niemanden so recht interessieren wollen, steht eine beachtliche Zahl von Militärflugzeugen, die ausreichen würde, einen mehrwöchigen Luftkrieg gegen einen unbelehrbaren Schurkenstaat zu führen. Luftig grüßt die Bordkanone, 150 Schuß Dauerfeuer. Hier geht der Verteidigungsminister von Burkina Faso auf Shopping-Tour. Und weil Männeraugen beim Blick in ein Tornado-Cockpit so begeistert aufleuchten und man nach der Besichtigung von fünf Überschallflugzeugen 100% gehirngewaschen ist, hat die Luftwaffe hier auch gleich ein Rekrutierungsbüro aufgestellt, das über Karrierechancen in der Streitmacht informiert.

Die Luftwaffe ist eine komische Truppe. Jedes Geschwader führt seine eigenen Symbole auf Tragflächen und Fliegeroveralls. So trägt ein Pilot den Aufnäher „Tigers of Bosnia“, ein anderer bekennt sich mit der Parole „Viva Zapata“ zu mexikanischen Revolution und ein Dritter schmückt seinen Thorax mit Donald Duck im Sturzflug. Das klingt nach vergnüglichen Abenden im Fliegerhorst, wenn Tick, Trick und Track ihre Aufnäher tauschen.

Die Besucher knipsen sich ein komplettes Düsenjäger-Quartettspiel zusammen. Hier ist man ganz per Du mit Kampfhubschrauber, Boden-Luft-Rakete und Abschußrampe und fühlt sich wie eine Besatzungsmacht. Am besten wissen wieder einmal die Amerikaner, wie aktive Verteidigungspolitik geht: Der Stand des Verteidigungsministeriums hat den flauschigsten Teppich, und draußen schwärmt eine sehr charmante Kampfpilotin von ihrem letzten lebensgefährlichen Tiefflug und dreht sich kokett in ihrem Multi-Funktions-Overall.

In den Ausstellungshallen geht es spürbar kleinteiliger und geschäftsmäßiger zu. Hier gibt es alles, was das Ingenieurs-Herz begehrt: Flugschreiber mit alter und neuer Rechtschreibung, feuerverzinkte Schrauben für die ambitionierte Heckflosse, Schleudersitze mit anatomischer Stützfunktion und eine sehr elegante Disorientation Training Unit für alle, die aus beruflichen oder privaten Gründen einmal die Orientierung verlieren möchten. Sieht sehr futuristisch aus und paßt in jedes Wohnzimmer. In einer stillen Ecke sitzt ein älterer Herr vom deutschen Luftfahrtclub und leimt mit einer großen Uhu-Flasche Ultra-Leicht-Modellflugzeuge aus Balsaholz zusammen. Um seine Lippen spielt ein selbstversunkenes Lächeln, das plötzlich alles Treiben auf dieser Messe zu erklären scheint. Aus der Luftperspektive muß das Gelände aussehen wie das unaufgeräumte Zimmer eines schwer erziehbaren Kindes mit Hang zu Militärspielzeug.

Vor viel Militär und führendem Luftfahrtmanagement eröffnet Gerhard Schröder gegen Nachmittag dann sehr offiziell das Kinderzimmer. Der Kanzler kommt durch eine Tür. Das hätte er besser machen können. Zum Beispiel mit einem Fallschirmsprung. Am meisten habe ihm der Stolz seiner Soldaten gefallen, als er einen kurzen Abstecher zum Airbus der Luftwaffe gemacht habe, bekennt er einleitend. Eine rundum gute Sache, so ein Airbus. Rudolf Scharping darf also weiter Verträge gegenzeichnen. Schröder faßt sich ziemlich oft an die Nase, die in diesem Kontext noch sehr viel mehr an eine Flugzeugnase erinnert. Beim Messerundgang rudert er ein bißchen mit den Armen, als erprobte der Autokanzler jetzt den Propellerantrieb. Hier geht es offensichtlich um die Steigerung der Schubkraft im Wahlkampf. Für die Fotografen zeigt er in der Raumfahrthalle lachend auf schwebende Planeten aus Pappmaché, was sicher so viel heißt wie: „Ich will da hoch!“ Gesagt, getan: Bevor er die Halle mit sphärischer New Age-Musik und R2D2-Plunder verläßt, segnet er noch durch Handauflegen ein Triebwerk der europäischen Rakete „Ariane“. Sollten in 3 Millionen Jahren die Forscher fremder Zivilisationen einen Fingerabdruck auf einem Stück Weltraumschrott finden, werden sie in dem Handabdruck eines mächtigen Stammeshäuptlings einer lange, lange vergangenen Kultur lesen können.

Nach dem Kanzler kam die Show. Herrliches Wetter zum Durchbrechen der Schallmauer. Ein Düsenjet der Luftwaffe gibt einen imposanten Eindruck vom Original-Soundtrack des jüngsten Gerichts. Als erstes müssen die Trommelfelle des Gegners außer Gefecht gesetzt werden. Der Rest kommt später. Aber bitte nicht zu spät. Wenn sie die Bordkanone einsetzen müssen, sagt der PR-Mann der Rüstungsfirma, ist etwas schief gelaufen. So weit sollte es eigentlich nicht kommen. Trotzdem ist die Bordkanone des neuen Eurofighters ein Glanzstück der Technik. Nichts klemmt, kein Patronengurt verhakelt sich, problemlos jagen die Geschosse entlang der Achse des Bösen.

Zur Beruhigung der aufkommenden Kriegsgelüste zeigt ein Riesenzeppelin Flugkunststückchen. Das sieht aus wie eine Walfischdressur im strahlend blauen Himmelsbecken. Danach übt der Weltmeister im Freestyle-Kunstflug Abstürzen. Zwischen all den Kunstfliegern ziehen drei Greifvögel ruhig ihre Kreise und lassen sich durch keinen Sturzflug beeindrucken. Ist schließlich ihr täglicher Job. In konzentrischen Warteschleifen lauern sie auf überfahrene Hasen am Rande der Startbahn oder auf eine Taube, die in die Rolls Royce-Triebwerke gerät. Besonders rege ist an diesem Tag der Mückenflug. Es muß sich um eine neue, kampfwertgesteigerte Version handeln oder um spezielle Lastenmücken, denn diese Insekten haben eine noch nie gesehene martialische Form und hängen so schief in der Luft wie ein überladener Transporthubschrauber. Vielleicht sind sie auch nur im schweren Kerosindunst mutiert. Jedenfalls sind sie die einzigen Flugobjekte mit reduzierter Lärmemission an diesem Tag.

Pünktlich zu Christi Himmelfahrt werden die Flug-Weltmeister und die Kampfpiloten mit den sechzehntausend Flugstunden auf dem Karrierekonto nicht nur den Fachbesuchern, sondern auch dem breiten Publikum und dem Heiligen Geist zeigen, wie man möglichst lärmend die Schwerkraft überwindet. Und wie Schwerter zu windschnittigen Tragflächen werden.

Am Abend dieses Messetages kommt noch eine Orkanwarnung über Lautsprecher. Die Aussteller mögen doch bitte ihr Fluggerät festzurren, die Cockpits schließen und die Bremsklötze unter den Rädern verkeilen. Ein Unwetter sei im Anmarsch, mit dem sicher nicht zu spaßen sei. Vielleicht wird in dieser Nacht ein apokalyptischer Sturmwind über das Ausstellungsgelände fegen und all den MIGs, Tornados und Apaches, all den Bordkanonen, Marschflugkörpern und unbemannten Aufklärungsdrohnen zeigen, wo der Hammer hängt. Dann käme pünktlich vor Christi Himmelfahrt noch eine reinigende Höllenfahrt.


Die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) findet vom 6. bis 12. Mai auf dem Südgelände des Flughafens Berlin-Schönefeldt statt. Die Messe ist täglich von 10 Uhr bis 18 Uhr geöffnet. Vom 6. bis 8. Mai sind Fachbesuchertage, danach hat das Publikum Zutritt – für 15 Euro pro Tageskarte. Infos unter www.ila2002.de