Sophies Wagenwelt. Matthias Eckoldts Debütroman “Moment of Excellence” (FAZ, 24.05.00)
Mindestens ein halbes Dutzend Trends liegt immer in der Luft, ungeachtet aller klimatischen Verwicklungen. Mit Cyberspace und Hirnforschung kann man momentan gar nicht falsch liegen. Als beruhigender Gegenpol zu all dem modernistischen Firlefanz dann noch einen Schuß antike Lebens-Philosophie, und weil Schumi gerade wieder ganz gut im Rennen liegt, soll über dem ganzen Spuk halt der Duft von heißem Gummi, „Bitumen“ und Benzin hängen. Matthias Eckoldt schreibt Essays zur Trendforschung, liest man auf der Klappe seines Roman-Debüts, und da auch das Genre Roman nach wie vor schwer im Trend liegt, hat Eckoldt nun in enger Kooperation mit dem Zeitgeist vier, fünf Mega-Trends zum Para-Trend „Junge deutsche Prosa“ gebündelt.
Der Supertourenwagen-Rennfahrer Marc Merkus setzt sein Coupé und sein Gehirn vor eine Betonwand. Trotz geflügeltem Helm erleidet Götterraser Merkur ein Schädeltrauma. Der Star-Chirurg Helmuth Korn mißbraucht Merkus als Versuchskaninchen und versenkt ihm einen Mikrochip in den Hypothalamus. Der geckenhafte Philosophie-Coach Hauenstein läßt daraufhin via Internet das Gedankengut des römischen Philosophen Boethius in den Chip einspeisen, wenn er nicht gerade im Cerrutti-1866-Anzug über Kants „Kritik der reinen Vernunft“ sinniert. Die neurolinguistische Programmiererin Kirsten Bringer verankert hauptberuflich Selbstversunkenheit und Happieness zwischen den Fingerknöcheln ihrer Klienten, wird nebenberuflich zur Komplizin der männlichen Schurken und ist auch sexuell ein Bringer der Kirstenklasse. Gegen Ende kommt noch der Chaos-Hacker und asexuelle Nerd Chris ins Spiel und verstöpselt Merkus´ Cyberhirn komplett mit dem weltweiten Netz. Der Rennfahr-Zombie läßt sich nun über die Tastatur eines Laptops steuern wie die Figur eines Videospiels, gewinnt ein strategisches Rennen, steigt aus und faselt Versatzstücke aus einer CD-ROM über den römischen Stoiker Boethius in die verblüfften Mikros. Man sieht: der Roman dreht sich hochtourig um ein klassisches Leib-Seele-Problem.
So viel zum intellektuellen Überbau der Handlung. Für die grölende Stimmung im Parkett sorgt Merkus´ verkifft-versoffenes Rennteam. Seine PS-fixierten Jungs nennen sich die „Pferdeärsche“ und glänzen auch sonst mit ähnlich wiehernder Komik wie ihr Spitzname. Eckoldts Simulationsprogramm für freakige Coolness und locker-flockige Dialogführung stürzt schon auf der ersten Seite ab. So müssen die Tough-Guys ständig „Fluppen“ rauchen, handelsübliche Rennreifen „Mösengummis“ nennen, bei einem größeren Geldbetrag „Is ´n kapitaler Täusie!“ rufen und alle Rechtskurven so rasant nehmen, daß es ganz laut quietscht. Hölle! Einer ist gar ein ausgemachtes „Rauhbein“, und so fährt er auch: „Ed vergnügte sich damit, entgegenkommende Autos durch das Überfahren der Mittelmarkierung mit aufgeblendetem Licht vom Kurs abzubringen, während Lucky, der neben ihm saß und der seinen Spitznamen dem selbstmörderischen Verbrauch an Zigaretten verdankte, die jeweiligen Autotypen nannte und durch die Erwähnung der zugehörigen PS-Zahlen Lacher erntete.“ Hölle, Hölle.
Eds Fahrweise ähnelt Eckoldts Schreibweise. In dessen Text drängeln sich zahllose Einschübe so rücksichtslos in den geordneten Satzfluß, daß es ständig zu Auffahrunfällen kommen muß: „Schon fädelte Ed wieder in eine Lücke auf der gegenüberliegenden Fahrbahn ein, die, nach dem Geräuschaufkommen zu urteilen, erst durch mehrere Vollbremsungen und Auffahrunfälle entstanden sein mußte.“ Die Syntax illustriert hier den Plot. Streckenweise liest sich das, als schaltete Eckolt in einem Satz vier, fünf Mal mit Zwischengas hoch und runter: „Denn Chris hatte die Anlage so konzipiert, daß, wenn nicht alle das Gleiche sahen, nur, wer sich selbst beobachten ließ, auch den anderen beobachten durfte.“ Auf diese Weise bekommt jeder Stil einen Getriebeschaden.
Zwischen philosophischen Appetizern und modischen Life-Style-Accessoires wie Palm-Organizer und Laptop mit integriertem Modem stöckeln eine hirnverblödete Sekretärin, eine langbeinige Blondine mit großen Träumen vom Catwalk und manch anderer dünnblütiger Prosaklon durchs abstruse Geschehen. Verglichen mit ihnen allen sind die Figuren aus der Augsburger Puppenkiste von balzacscher Realitätsnähe und proustscher Vielschichtigkeit. Ebenso wie der chipgesteuerte Rennfahrer Marc Merkus wirken alle Figuren so künstlich wie Avatare aus der Cyberwelt. Ein kalauerndes Büchlein voller geschwätziger Robert T-Onlines.
Hochtrabende philosophische Themen werden nur als Stichwortgeber für einen albernen Komödienstadl angezapft. Hin und wieder leuchtet jener lüstern-selbstgenügsamer Skatrundenhumor auf, der sogar noch angesichts eines vorbeihuschenden Karbonmäuschens völlig aus dem Häuschen gerät, trägt sie nur einen „Kittel, dessen obere Knöpfe wohl ihre recht ansehnlichen Brüste aus Platznot weggesprengt hatten“. „Moment of Excellence“ mag als Satire angelegt sein. Allein, Satire gegen was? Koksende Rennstreckensprecher? „Goldene Taschenaschenbecher“? Skrupellose Skalpell-Diven? Den unberechenbaren BMW-Hinterradantrieb? Irgendwie gegen alles wahrscheinlich. Man lernt nichts und wird dabei nicht mal gut unterhalten. Gelungen ist allein die Widmung des Romans. „Moment of Excellence“ wird von NLP-Adepten jener Augenblick der glücksbringenden Verschmelzung des Ich mit der Welt genannt. Bei der Lektüre stellt sich nicht ein einziger dieser Momente ein. Kiesbett.
Matthias Eckoldt: Moment of Excellence. Roman, Eichborn, Frankfurt am Main 2000, 227 S., XX,YY DM