Stephan Maus

Jim Dodge: ‘Fup’ (FAZ)

Zen oder Die Kunst, einen Schafszaun zu bauen. Jim Dodges psychedelisches Märchen “Fup” (FAZ, 28.02.02)

Kurz vor Jonathan “Tiny” Adler Makhursts II drittem Geburtstag ertrinkt seine Mum nach einem Unwetter in einem Stausee. Eine fette Ente ist einzige Zeugin des Unglücks: „Ein großer Vogel, der um ihre Leiche herum schwamm. Die Explosion von Wasser und Flügeln, als er schrie.“ Tiny ist Erbe eines ordentlichen Vermögens, das ihm sein Vater „Überschall-Johnny“ Makhurst hinterlassen hat. „Überschall-Johnny“ war ein Boeing-Testpilot, der in seinem Blechvogel aus der Mojave-Wüste geradewegs ins Jenseits donnerte. Tinys Lebensweg ist gesäumt von Vogelflügen und -abstürzen. Die Auguren hätten eine wahre Freude an Jim Dodges Buch gehabt.

Der reiche Vollwaise wird von seinem Großvater in Steuernöten adoptiert. Granddaddy Jake ist ein altes Rauhbein, das nach einem sehr bewegten Abenteurerleben auf seiner abgelegenen Ranch an seinem privaten Jungbrunnen schraubt. Ein sterbender Indianer hat ihm ein Rezept für einen Unsterblichkeitstrunk vermacht: „Trink dies. Sei still. Du wirst ewig leben.“ Der Trunk entpuppt sich erfreulicherweise als hochprozentiger Whisky, und fortan verfeinert Jake Tag um Tag seine Destillier- und Zechkünste: „In den Fermentations- und Destillationsprozessen fand er nicht nur Metaphern, die seinem Geist entsprachen, sondern auch ein Erzeugnis, welches ihn erweiterte.“

Auf Granddaddys Ranch wächst nun auch Tiny langsam in seine Leidenschaft hinein und reift schließlich zum bedingungslosen Zäunebauer: „Er arbeitete in Stein, Palisade, Pfosten & Brett und Draht, aber am allerliebsten mochte er den traditionellen kalifornischen Schafszaun.“ Mit Psychoanalyse darf man ihm nicht kommen, Tiny liebt den Zaun an sich, fertig aus: „Granddaddy Jake sprach ihn eines Abends nach dem Essen darauf an: ´Wenn du nichts einzäunst, grenzt du vielleicht was aus.´ Aber Tiny schüttelte nur den Kopf und murmelte: ´Nö, das sind nur Zäune, ich bau eben gern Zäune.´“ Als Tiny eines Tages eine verwaiste Ente findet, schließt sich ein motivischer Kreisflug des Textes und das schrullige Trio ist komplett: Zaunkönig und Riesenbaby Tiny, der Herr des Feuerwassers Jake und die fette, leicht alkoholabhängige Ente Fup gehen zusammen ins Autokino, auf die Wildschweinjagd und arbeiten gemeinsam an ihrer Mensch- respektive Entenwerdung. Durch spontane Reinkarnation lernt die fette Ente schließlich fliegen, Tiny beginnt endlich, Tore in seine Open-Air-Laufställe zu bauen und Granddaddy wird sich von einem schnatternden Entengeschwader in die ewigen Jagdgründe transportieren lassen.

Man hat Jim Dodge mit Mark Twain verglichen. Aber er ist ein Mark Twain auf LSD. „Fup“ ist eine Art psychedelisches Rock ´n´ Roll-Märchen im Geiste des Kaliforniens der siebziger Jahre. Durch diese verschrobene Fabel um eine charakterstarke Ente weht ein leiser, sehr sympathischer Duft von Hippieräucherwerk. Wäre man ein Spielverderber, rupfte man der netten Ente analytisch die Federn und sähe ein nacktes, fröstelndes Plädoyer für den Mut zum lustig gefiederten Traum, den freien Stockentenflug der Phantasie, die Toleranz gegenüber Freaks und schrägen Vögeln. Doch glücklicherweise watscheln Dodges heilsbringende Indianerweisheiten und seine frohen Botschaften durch kräftigen sprachlichen Humus. Breite Schwimmflossen erden den freien Flug der Fantasie. Immer, wenn der Text etwas zu nahe an den kalifornischen Schafszaun des poetischen Idylls gerät, pfeift Dodge ihn mit einer kraftvollen Schimpfkanonade oder einem deftigen Kalauer von Granddaddy Jake zurück. So ist der Taufpate der trägen Ente der Schüttelreim: „Fup Duck, Fuck Dup -, fucked up.“

Dank seines anarchischen Humors ist Doge eine schön skurrile, menschen- und tierfreundliche Träumerei über Lebenskünstler gelungen, die dem Kitsch nicht auf den Leim geht. „Fup“ zeigt schon Jim Dodges Vorliebe für bewußtseinserweiternde Arbeit an spiritueller Vervollkommnung, die er später in seinem voluminösen Bildungs- und Initiationsroman „Die Kunst des Verschwindens“ aus dem Jahr 1990 allzu hemmungslos ausgelebt hat. Granddaddy Jakes Bemühungen um den perfekten Whisky erinnern an die alchimistische Suche nach dem Stein der Weisen: „Mit der Meisterschaft kam der Anfang der Kunst.“ Dodge singt immer auch ein Loblied auf die unbedingte Konzentration, die mit ein bißchen Glück zu wahrer Kunst führt. Der wirkliche Alchimist destilliert aus dem Alltag „die kondensierte Essenz göttlicher Dämpfe“, möglichst nahe an reinen 97 %. Aus „Fup“ spricht eine Art südkalifornische Zen-Weisheit, die sich in ähnlichem Tonfall auch bei Richard Brautigan finden läßt. Tiny erreicht beim täglichen Zaunbau einen höheren Geisteszustand. Am Ende des Buches richtet er seine Leidenschaft auf Tore. Ein weiterer Schritt zur Entgrenzung scheint getan. Zen, oder die Kunst einen kalifornischen Schafszaun zu errichten. Der Rancher ist seinem Satori mit dem Spitzhacke, Schaufel und Vorschlaghammer auf der Spur. Letztlich wird er es wohl nur erreichen, wenn er alle Zäune einreißt und verbrennt.

Ein solches Autodafe möchte man von dem originellen Berliner Comic-Künstler Georg Barber alias Atak nicht erwarten. Er hat eine ähnlich bewegte Vita wie der Zocker, Herumtreiber und Schnapsbrenner Granddaddy Jake: Vom Punk-Musiker zum nächtlichen Graffiti-Sprayer zum Comic-Künstler. Folgerichtig hat er Jim Dodges märchenhafte Erzählung sehr zauberhaft illustriert. Mal schimmert eine Zeichnung diskret wie ein Wasserzeichen hinter dem wertvollen Text hervor, mal stellt ein Comic-Strip eine besonders komische oder traurige Szene nach, dann wieder portraitiert Atak seine Helden in großflächiger Plakatmanier. Meist verwendet der Zeichner warme Erdtöne, die so ruhig schimmern wie das Redwood-Holz von Tinys Zäunen, der Boden der Ranch, wie Granddaddies Whisky oder das Gefieder des Stockentenweibchens Fup. Das Buch ist so liebevoll gestaltet, daß man nicht wagt, es mit profanen Rezensentenanmerkungen zu beschmuddeln. Braucht man auch nicht, denn Atak hat mit sicherer Hand die bemerkenswertesten Passagen illustriert, so daß man sie nicht mit ungelenkem Bleistift unterstreichen muß. Absichtlich liest man langsamer, verweilt auf Ataks wunderbaren Illustrationen und hat so noch länger etwas von dem Text. Dem überzeugenden Trio Tiny, Jake und Fup steht das Triumvirat Dodge, Atak und Übersetzer Harry Rowohlt in nichts nach.

Jim Dodge hat seiner spirituellen Fabel Verse des japanischen Mönches und Haiku-Dichters Basho als Motto vorangestellt: “Schweig, Tempelglocke. / Dein Klang wird weitertönen / Aus Blumen. / Ganz laut.“ Nicht nur aus Blumen. Auch aus Dodges Zeilen und Ataks Illustrationen.


Jim Dodge: „Fup“, Aus dem Amerikanischen Englisch von Harry Rowohlt, Illustrationen von Atak, Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2002, 129 S., 15 Euro