Stephan Maus

Zu kalt, um wahr zu sein: Mit der Pulka durch den schwedischen Nationalpark Sarek (stern)

Im Sommer gehört der schwedische Nationalpark Sarek den Stechmücken, im Winter herrscht hier Ruhe. Bei minus 35 Grad im Zelt kommt man mal auf andere Gedanken

“Waschen? Vergiss es. Und Klopapier bitte verbrennen!”

So hatte unser finnischer Guide Usko seine Einführung in die Wildnis beendet. Denn trotz ihrer einschüchternden Erscheinung ist die arktische Natur empfindlich. Um sie zu schützen, hinterlässt man so wenig Spuren wie möglich. Also kämpfst du bei minus 20 Grad mit einem vereisten Reißverschluss und prüfst, ob du Streichhölzer dabeihast. Feuerzeug funktioniert bei dieser Temperatur nicht. Wie überhaupt kaum etwas funktioniert: Kameralinsen, Feuchttücher, Zeltstangen - alles eingefroren.

Nur der Mensch funktioniert noch. Aber um das zu verstehen, wirst du noch etwas brauchen. Tage, an denen du denkst, du wirst jeden Moment in Gottes Kühltruhe für die Auferstehung zwischengeparkt. Jetzt stehst du erst einmal terrorisiert unter einer Tanne, die du dir zum Toilettengang ausgesucht hast.

50 Meter unter dir leuchten die sturmsicher vertäuten Zelte im Schnee. Gut, dass der Weg zu deiner Tanne bergauf führt. So bist du gut durchblutet, als du die Daunenjacke in den Schnee wirfst, die Windstopperjacke hinterher, die Träger der Windstopperhose abstreifst, die Hose herunterlässt, die Träger verstaust, die Fleece-Unterhose in die Knie streifst, die Stretchunterhose darüber zerrst und, verdammt, jetzt drängt es schon sehr, schließlich auch die Unterhose herunterlässt. Zuletzt stellst du deine Schneeschuhe weit auseinander. Ohne sie würdest du bis zur Hüfte im Schnee versinken.

Du klammerst dich an die sturmgebeugte Birke vor dir, gehst in die Hocke, lehnst dich zurück und versuchst zu entspannen. So hockst du an der südlichen Grenze des schwedischen Nationalparks Sarek, eines mythischen Stücks Lappland, das als letzte Wildnis Europas gilt. Wer sich hier hineinwagt, muss sich mit Karte und Kompass orientieren und Lawinengefahr einschätzen können. Im Sommer erschweren dichtes Weidengestrüpp, Sümpfe und Moore den Zugang zur ursprünglichen Natur. Auf Schritt und Tritt folgen einem schwarze Stechmückenwolken. Im Winter hat man seine Ruhe. Absolute Ruhe.

Atemberaubendes Panorama

Es tut gut, sich am Klopapierfeuer die rissigen Hände zu wärmen. Die gefrorene Birkenrinde, an der du dich festgeklammert hast, hat dir das Blut abgeschnürt. Blut ist deine Heizung. Hättest du hier noch länger gehockt, wäre dir eine Fingerkuppe erfroren. Du wirfst einen Tannenzweig ins Feuer, genießt den harzigen Duft und das Panorama: Im Tal breitet sich der Stuor-Dáhtá-See aus. Weit hinten im Westen zeichnet sich das Tarrekaise-Massiv ab. In deinem Rücken ahnst du das Pårte-Massiv, euer Ziel. Noch weiter nördlich droht das Urstromtal des Rapadalen, bei dessen Durchwanderung der Schriftsteller Alfred Andersch im Sommer 1953 beinahe an Erschöpfung und Proviantmangel gestorben wäre. Auch heute gibt es hier oben keinen Handy-Empfang. Ab jetzt bist du für sechs Tage verschollen.

(Vollständige Reportage auf stern.de)