Stephan Maus

Mohan, Menu, Mottin (Hg.): ‘Im Herzen der Mona Lisa. Dekodierung eines Meisterwerks’ (stern)

Mona Lisas Körbchengröße: 39 Wissenschaftler haben Leonardo da Vincis Meisterwerk auf Herz und Nieren geprüft (stern, 26-06)

Sie sind die Besten, und sie sind mehr als drei Dutzend. Sie ist die Schönste, und sie ist allein. Sie haben modernste Apparaturen, und sie hat nur ihr Lächeln. Zwischen ihnen liegen Jahrhunderte, und jetzt treten sie zum Duell an. Zum fünfhundertsten Geburtstag der Mona Lisa spendierte der Louvre dem bekanntesten Gemälde der Welt eine neue klimaregulierte Panzerglasvitrine. Zuvor vereinte man 39 Spitzenkräfte aus Natur- und Geisteswissenschaften, um das Meisterwerk einem Generalcheck zu unterziehen und ihm seine letzten Geheimnisse zu entlocken. Ein prächtiger Bildband voller atemberaubender Großformatbilder und kniffeliger Tortendiagramme dokumentiert nun diesen Wissenschaftsthriller: Welche Pigmente hat da Vinci in sein Walnußöl gerührt? Wo hat sich der Meister korrigiert? Aus welchem Holz ist die Mona Lisa geschnitzt? In welchem ihrer Körperteile nagt der Holzwurm am lustvollsten? Wie mag sie unter ihrem vergilbten Firnis aussehen? Welche Krümmung hat ihr Lächeln?

Die Mona Lisa ist das Meisterwerk eines Universalgenies, das alle Wissenschaften der Renaissance in seiner Person vereinte. Heutzutage braucht man mehr als drei Dutzend Spezialisten, um einen Wissensstand auf der Höhe der Zeit zu garantieren. Diese Fachkräfte rücken der Schönheit nun mit schwerstem Gerät zu Leibe. Ihre Ausrüstung scheint aus dem Labor eines besonders einfallsreichen Mr. Q zu stammen. Die Gioconda wird mit allem beschossen, was die Physik in ihrem Magazin hat: Röntgen-, Laser-, Infrarot- und Elektronenstrahlen. Nur das Modernste ist gut genug, der Gattin eines Florentiner Tuchhändlers aus dem sechzehnten Jahrhundert unter den Rock zu schauen.

Was gibt es dort zu sehen? Vor allem Pappelholz. Darauf nämlich hat da Vinci das Porträt gemalt. Es steht so sehr unter Spannung, daß ein tiefer Riß entstanden ist, der natürlich knapp über dem Haaransatz der schönen Florentinerin Halt gemacht hat: Wer würde es schließlich wagen, diese leuchtende Stirn zu spalten? Feuchtigkeit hat das Holz stark verformt. Seine maximale Wölbung wurde genau über der rechten Brust der Mona Lisa gemessen, wo sich die Farbe schon leicht ablöst. Für Körbchengröße A reicht die Schwellung allerdings nicht, es sind nur 15 Millimeter. Exakt an dieser Stelle wurde auch die intensivste Leuchtkraft des Gemäldes registriert. Aber war nicht von vornherein klar, daß Spannung und Leuchtkraft über dem bebenden Herzen der Mona Lisa am stärksten sein müssen?

Vorbildlich folgen die Untersuchungen da Vincis Ideal der Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft. Königlich thront die Florentinische Schönheit im High-Tech-Labor zwischen heißlaufenden Laptops und 2000-Watt-Studiolampen und lächelt ihr unergründliches Lächeln, das noch den absurdesten Messungen freundlichen Spott entgegenbringt. Nicht einmal die Enthüllung, daß die Farbe ihres Fleisches aus zerquetschten Insekten gewonnen wurde, bringt sie aus der Ruhe. Die Jahresringe der Pappelholztafel stärken ihr Rückgrat, und im Stillen freut sie sich, daß die Farbschichten ihrer Rauchschatten, dem legendären sfumato, so hauchzart sind, daß sie selbst für modernste Apparate nicht mehr zu erfassen sind. Mit ruhiger Hand zauberte Da Vinci im Subatomaren.

Die 39 Profis sind auf Mission impossible: Natürlich läßt sich das Kunstwerk sein Geheimnis nicht entlocken. Wie soll ein Röntgenbild das Rätsel eines Lächelns ergründen? Es wird immer nur einen höhnisch grinsenden Schädel zeigen. Aber das fundierte Wissen über Pigmente und Lichtbrechung verstärkt noch den Zauber um die italienische Schönheit. So viel Geschwätz hat die Mona Lisa schon hervorgerufen, daß es eine Wohltat ist, sie zur Abwechslung einmal einem furiosen Zahlengewitter trotzen zu sehen. Ihre Aura gewinnt unter dem steten Elektronenbeschuß immer mehr an Strahlkraft.

Was aber ist das spektakulärste Geheimnis, das dieser Prachtband lüftet? Die Infrarotanalyse des mit kolibriflinkem Pinsel gemalten Gazegewandes der Tuchhändlerin ergibt, daß sie ein guarnello, ein Umstandskleid, trägt. Die Mona Lisa war schwanger. Wen aber barg die Schöne unter ihrem guarnello? Und wer war der Vater? Für den nächsten Generalcheck in den Kellerlaboren des Louvre fordern wir schon heute Großen Ultraschall und Vaterschaftstest. Und sobald die Testergebnisse vorliegen, wird es heißen müssen: Dan Brown, übernehmen Sie!


Jean-Pierre Mohan, Michel Menu, Bruno Mottin (Hg.): Im Herzen der Mona Lisa. Dekodierung eines Meisterwerks. Eine wissenschaftliche Expedition in die Werkstatt des Leonardo da Vinci. Schirmer/Mosel München, 2006. 128 Seiten, 280 überwiegend farbige Tafeln und Illustrationen, 58,00 Euro.