Stephan Maus

Einar Schleef: ‘Zigaretten’ (junge Welt)

Der Bundesprosaminister warnt. Einar Schleef: Ein Autor mit zwei Rechtschreibfehlern im Namen (junge Welt, 28.07.1998)

Einem Mann sind Ehefrau und Tochter davon. Geblieben ist ihm ein Kaninchen. Ein Mann. Ein Kaninchen. Interessante Ausgangssituation. Kaninchen kann man braten, im Hut verschwinden lassen oder ihnen das Fell über die Löffel ziehen. Schleef ist zu Kaninchen Hypnose eingefallen. Raunend hypnotisiert der Held sein Leid, sich selbst und den Leser gleich mit. Die trauernde, kummerbeladene, ins Nichts geworfene Seele ist eine Bühne, auf der sich manche Hanswurstiade abspielt. Das Kaninchen aber schleppt sich lethargisch von Ecke zu Kiste und zurück, knabbert unbeteiligt an Tapeten, Stuhlbeinen und Zeitungen. Nach einigen Seiten mümmelt auch der Leser an den Seiten, bekommt einen stieren Blick und guckt der kompletten Schleefschen Chose gebannt in ihre Spiralaugen. Ab Seite 30 hätte Schleef mich losschicken und kleine Kinder morden lassen können.

Der Plot ist einfach: Mann braucht Zigaretten, und da man selbst hypnotisierte Karnickel nicht Kippen holen schicken kann, müßte der Mann selbst gehen. Aber der Mann hat keine Kraft. Dieser Mann ist nicht glücklich. Humor könnte ihm helfen, aber den hat er leider nicht: „Vergleiche waren nicht seine Sache und jeder Humor fehlte ihm, er war ja nur eine tragische, lächerliche Person, die in ihrer Verbohrtheit noch wuchs.“ Er schleppt sich von Ecke zu Kiste, Quatsch, von Bad zur Küche und zurück, seine Nachbarn grillen Bauchspeck oder Würstchen, geruchlich schwer zu unterscheiden, er trinkt ein bißchen, schwankt ein bißchen, torkelt ins Bett, das Kaninchen hoppelt vom Stuhlbein zur Spüle, das Kaninchen duckt sich, der Held weicht aus, keiner möchte den anderen erschrecken, das Kaninchen leckt an seinem Lauf, der Held am Fußboden. Am Fußboden? Ja, denn der klebt und schmeckt nach Blut oder Urin. Oder beidem. Geschmacklich schwer zu unterscheiden, aber bestimmt lecker.

Es ist der gesamte Abenteuerspielplatz Verletztheit: Körper, Geist & Seele fühlen, denken, toben, verknäulen sich, rütteln, summen, zurren und surren, chachacha, vor am Platz, chachacha, rück am Platz. Tick, Trick & Track haben einen Riesenspaß. Der Kühlschrank knackt, die Herdplatte arbeitet, jedoch von existentieller Ekligkeit ist die auf erkaltendem Tee sich bildende Haut. Auch die eigene Haut ist nicht unproblematisch. Mal reißt sie, mal will man in sie ritzen. Tief hinein! Schneiden gar? Haut! Trotz der Schengener Abkommen ist die Grenze zwischen Innen- und Außenwelt allerundurchlässigst. Ja, die gesamte Welt jenseits des Randes unserer Teetasse ist ein Elend. Politik in toto ist kacke, Fernsehen allemal, Frauen sind Schweine bzw. Säue bzw. keiner kann was dazu, ist einfach so, leck mich doch. A propos: Fäkalien sind auch locker: „Die Verdauung beinhaltete ihre Werte, und daß mit dem menschlichen Kot sowenig anzufangen war, lag sicher mehr in der Überheblichkeit des Erzeugers als in den beinhalteten Substanzen.“ So weit, so guten Appetit. Und was spielt sich auf den Geschlechtsorganen ab? „Der Schweiß am Geschlecht wurde kalt.“ Ah ja.

Von der Unzulänglichkeit unserer Sprache wollen wir allerdings gar nicht erst reden. Natürlich ist diese Kippenprosa auch ein Bericht der Sprachzähmung, logisch: „Warum verlor er sich jetzt. Diese Sprache gehörte ihm nicht, die Bilder, das war alles abgeguckt, unecht, so viele Worte konnte er nicht machen.“ Ja Himmel, dann laß es halt. Seit Hofmannsthal ist eine Gießkanne keine Gießkanne keine Gießkanne mehr. Was wäre eine moderne Beziehungskrise ohne Sprachkrise. Obwohl, so schlimm hat sich Hugo die Kiste bestimmt nicht ausgemalt: „Verständnis heißt Mißverständnis und Beteiligtsein. Wie konnte die Herabwürdigung einer anderen Person schmerzhafter sein als durch ein Ja. Damit war die Person vernichtet. Ja. Man konnte dann noch schnell 3 Mark wegnehmen oder 5 oder 4. Ja. Die schon verwerfliche Tat verlor dabei alle Schuld. Warum waren Automaten konstruiert. Wer vom Schweiß lebt, braucht das Messer.“ Ja. Schleef? Are you dada or gaga? Radio gugu? In a gadda da vida?

Die ganze Schleefsche Schachtel ist so aufregend wie der Schaltplan eines Vibrators. Irgendwann ist man so benommen, daß einen selbst Sätze wie „Unter feucht-buschigem Vaginalbewuchs vermutete der Kanzler den Born aller Befriedigung, warf seinen Kopf zurück und drang röchelnd in die weit gespreizte Familienministerin ein“ nicht mehr aus dem Tran reißen könnten. Jetzt vielleicht noch drei, vier Seiten in einem tibetanischem Seitentaldialekt? Scheißegal, uns kriegt jetzt nichts mehr wachgerüttelt. Dann allerdings verpassen wir Fragen wie diese hier: „Wozu Schinkensorten unterscheiden…“ Or this one: „War ein Telefon notwendig, wenn er das Gespräch, was er suchte, verunmöglichte?“ Fragen, deren Verunnichtbeantwortung man nicht verunnichtverantwortlichen kann. Darum gleich noch eine: „Wieso sollte er, da er doch sterben mußte, nicht leben.“ Ja, wieso eigentlich nicht? Cool gefragt ist dreiviertel easy geantwortet. Warum nicht noch einen Lebkuchen in den schon erkaltenden Kaffee tunken, wo er doch schon drei Aachener Printen in den leider nur noch lauwarmen Tee gedippt hatte?

Das Buch ist bezaubernd langweilig, zähflüssig wie allzu kaltes Rübenkraut und ebenso erfrischend wie ein polynesisch synchronisierter, rückwärts laufender Faßbinder-Film, der in Zeitlupe auf Premiere läuft, und Du hast den Decoder nicht angeschlossen. Wie weit fliegt wohl so ein Buch? Was macht der Schleef eigentlich beruflich? Vielleicht kann man ja die Zigarettensorte des Helden erraten. „Zigaretten“, ein heiteres Ratebuch von Einar Schleef: „Er hatte Tabak vergessen. Er konnte nicht sagen Zigaretten, er hatte hochgesehen beim Bezahlen, aber seine Marke war nicht da, eine grüne Packung. Karton. Er wußte nicht die Marke. An den Geschmack erinnerte er sich. Er wußte, wie sie aussah. Aber er hatte sie nie wieder gesehen.“

Watson, der Fall ist klar: Der Kerl raucht Marlboro Menthol.

Hat mir eigentlich nichts an diesem Buch gefallen? Nein! Außerdem kommt noch das Scheißwort „Räumlichkeit“ drin vor. Räumlichkeit! Es ist zum Kotzen! Warum rezensiere ich eigentlich nicht meinen Mietvertrag?

Der Firma Suhrkamp sei abschließend noch empfohlen, in der Woche nach der Sommerpause die Kommaregeln in der Kaffeeküche auszuhängen. Besonders schön ist die mit dem erweiterten Infinitiv. Es sei denn, die Kommaschludrigkeit ist ebenso ästhetisches Programm wie Schleefs große Fragezeichenverweigerung. Man weiß ja nie. Bei so Büchern ist alles möglich. Vielleicht ergibt sogar der Quotient aus der Summe aller Os und aller As in diesem Buch den Durchmesser von Schleefs Bauchnabel. Das ist aber noch lange kein Grund, aus den Fusseln da drinnen eine solche Prosa zu spinnen.

Schleef hat mich meinem Satori ein Stück nähergebracht: Langeweile ist die schnellste Abkürzung zur Ewigkeit.

„Er stand auf, er zog sich schnell an.“: Der letzte Satz. Was wird dieser Mann machen? Sein Kaninchen in den Zigarettenautomaten stecken? Dem Nachbarn kalten Kaffee in den Bauchspecknabel kippen? Seinen Tee häuten? Keine Ahnung. Dazu müßte man das Buch noch einmal lesen. Ohne mich.

Einar Schleef. Jetzt noch einer: Ich!


Einar Schleef: Zigaretten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1998, 170 S., 16,80 DM