Stephan Maus

Tama Janowitz: ‘Das Herz der Narren’ (FAZ)

Fra Angelico mit der Koksnase. Tama Janowitz’ Görenroman “Das Herz der Narren” (FAZ, 10.02.01)

Florence Collins hat die Zeit der Unschuld schon lange hinter sich: „Jungfräuliches Material bist du ja auch nicht mehr gerade.“ Sie ist im kritischen Alter von 32 Jahren, ihrer Ansicht nach schon weit jenseits des Verfallsdatum, hat höchste Ansprüche, doch ist ziemlich abgebrannt. Sie wohnt in einem schäbigen Appartement im teuersten Viertel von New York, hat einen Job in einem drittklassigen Auktionshaus und sucht ganz dringend einen erstklassigen, schwerreichen Mann, der ihr ein standesgemäßes Leben im verführerisch sirrenden Gravitationsfeld von Fifth und Park Avenue finanzieren kann. Nichts zieht sie mehr an als ein Milieu voller Frauen mit eigener Aromatherapeutin, Männer mit Kinnimplantaten und einem guten Draht zu New Yorks strengen Maîtres d´ Hôtel und Babies mit Rasseln aus Sterling Silber.

Florence will zu den Menschen mit gehobenen Problemen gehören. Sie träumt von einem Leben im Rhythmus der Frustkäufe, Beschwichtigungspediküren und Petersiliendiäten. Bei dieser Frau bestimmt das Sein das Kalorienbewußtsein. Zur psychologischen Disposition von Florence Collins kann resümierend gesagt werden: „Sie fühlte sich einfach nicht wohl, wenn BH und Höschen nicht zusammenpaßten.“ Wer Verständnis und Mitgefühl für eine solche Dame entwickeln kann, wird „Das Herz der Narren“ lieben, dürfte allerdings wohl auch ein ebensolches in seiner Brust schlagen spüren.

Tama Janowitz wird mit Autoren wie Jay McInerney und Bret Easton Ellis zum sogenannten New Yorker Brat Pack gezählt, einer urbanen literarischen Flegelbande. In den achtziger Jahren galten sie für kurze Zeit als Pop-Stars. Im Studio 54 bandelten sie mit Models und Starlets an und Fashion-Magazine propagierten für eine Saison den Writer´s Look. New York, ein Fest für´s Leben. If you can make it here, you can make it everywhere. In Deutschland wird der Traum von der Pop-Literatur noch ein bißchen weitergeträumt. Aber Tama Janowitz ist nicht wirklich eine literarische Göre, sondern einfach eine konventionelle, sehr fotogene Autorin, die sich damit begnügt, brav in Papa Hemingways mittlerweile schon ziemlich verwitterte Fußstapfen zu treten. Statt wild auf den Tischen zu tanzen, begnügt sich Janowitz damit, brav in der ersten Reihe ihres Creative-Writing-Seminarraums zu hocken und schön lieb nach all den Maximen zu schreiben, die ihr irgendein Script-Doctor oder Short-Story-Guru an die Tafel gekrakelt hat.

Für ihre Semesterabschlußprüfung hat sie sich offensichtlich ausgesucht, Edith Wharton ins ausgehende Jahrtausend zu transponieren. Der englische Titel „A certain Age“ spielt auf Whartons „Age of Innocence“ an. Der Roman ist harmonisch in drei Teile à hundert Seiten gegliedert, jeder Teil hat um die zwölf Kapitel, jedes Kapitel um die zehn Seiten. Alle Kapitel enden mit einer Pointe, die noch einmal ein besonders vielsagendes Schlaglicht auf eine der nichtssagenden Personen wirft. Das Konstruktionsprinzip der Klimax wird auf jedes Kapitel angewandt, deren Enden immer auch ein bißchen wie ein Cliffhanger konstruiert sind: Pointe, Punkt, Spannung halten, Hausaufgaben erledigt.

Durch die Figurenaufstellung des Romans schimmert noch das Millimeterpapier von Jannowitz´ Reißbrett: Florence ist eingerahmt von kontrastierend angelegten Charakterdarstellern, hier ein schmierlappiger Fondsmanager mit gutem Golf-Handicap und Vergewaltigungsfantasien, dort ein Crack rauchender toskanischer Adeliger mit eleganter Koksnase und glühendem Blick: „Seine italienischen Augen hatten eine sexuelle Intensität, die man bei amerikanischen Männern nicht fand.“ Die Mannschaftsaufstellung ist so starr und schematisch wie beim Tischfußball. Die Lektion des Romans liest man schon nach zwanzig Seiten: „Ihre Gastgeber schienen buchstäblich alles zu haben, und in Wirklichkeit waren sie schrecklich einsam. Unter der dünnen Kruste des Reichtum war gar nichts. Er war nichts als ein kunstvoller Zuckerguß auf einer leeren Pappschachtel.“ Die restlichen zweihundertachtzig Seiten illustrieren diese Enthüllung. Echt ist nur der rotgesichtige Russe. Den findet man in Begleitung seiner zuckerfreien Landesgenossen in einer kleinen Kneipe in Queens, einer Insel der Menschlichkeit und slawischen Lebensfreude: „Mein Gott, Florence, schau dich doch mal um. Das sind meine Freunde. Die Leute haben alle kein Geld. Sie kommen einfach zusammen und freuen sich des Lebens. Das sind wirkliche Menschen.“ Kultige Russendisko also auch in New York City.

Immer wieder läßt Tama Janowitz ihren auktorialen Richtspruch auf die Schönen und Reichen niederfahren: „Aber Manhattan war nun mal eine schäbige, von Plastikmenschen bewohnte Welt.“ Fairerweise hätte ihr der Creative-Writing-Professor sagen sollen, daß sich nach der klassischen amerikanischen Erzähltradition der Autor bedeckt halten sollte. Und warum hat er ihr nicht Plastiksätze wie „Es war alles nur wie im Film“ gestrichen?

Moralisch thront über all diesen Pappkameraden mit Zuckerguß der Rechtsanwalt Jerryl, der seine vielversprechende Karriere in einer Wallstreet-Kanzlei für einen Posten in der Rechtsberatung für Obdachlose hingeworfen hat und Flo aus Augen voller Güte anhimmelt. Wofür, weiß keiner. Aber dieser urbane Robin Hood ist Florence dann doch zu doof, und hier kann man sie zum ersten Mal verstehen. Wenn so bissige Gesellschaftskomödie aussieht, ist der Fernsehpfarrer Fliege ein großer Mystiker in der Tradition des Heiligen Antonius´. Das ganz große Geld ist offensichtlich Tama Janowitz nagende Obsession, die sie versucht, sich mit dieser schalen Riemchen-Sandalen-Comedy von der Seele zu schreiben. Das Ergebnis ist eher Tussen- als Görenliteratur. Hin und wieder versucht Janowitz hilflos, einen surreal-schrägen Blick auf die Welt zu werfen: „Hinter ihr schrie der Teekessel, als ob er am Spieß steckte. In gewisser Weise wurde er ja tatsächlich gefoltert: Seine Unterseite wurde verbrannt.“ Trotz solcher Teekesselchen-Putzigkeit gelingt ihr manchmal ein Bon Mot oder ein origineller Vergleich. Aber dazwischen steht zu viel ungenießbare Seperatorentext.

Mit solchen Prosa-Konstrukten bekommt man sicherlich sein Abschlußdiplom an einer beliebigen Erzähluniversität. Interessante Bücher schreibt man so nicht. Die Bratpack-Themen sind immer dieselben: Der New Yorker Jahrmarkt der Eitelkeiten und die Dinner Parties in den besten Wohnlagen von Gotham City. Das war anfangs ganz interessant, formal noch am innovativsten von Bret Easton Ellis gestaltet. Aber nun ist dieses Lifestyle-Milieu bis in den letzten verchromten Winkel ausgeleuchtet und müßte den Autoren auch genügend Vorschüsse gebracht haben, die bei risikobewußter Anlagestrategie ausreichend Rendite für ein relativ glamouröses Leben in New York abwerfen dürften. Nun soll auch bitte gut sein. Auch wenn die deutschen Verlage ihre zahlreichen Zuckerguß-Paperbackreihen mit irgendwas füllen müssen. Dabei scheint es doch noch gute Bücher in New York City zu geben: „Sie betrat eine Buchhandlung, ein kühles, schmales Geschäft. Die neuesten Romane waren sehr hübsch auf einem Stück blauem Samt dekoriert: keine kitschigen Bestseller, sondern lauter kleine Juwelen mit ausgefallenen Titeln.“ Nichts wie in den Überseekoffer damit.


Tama Janowitz: Das Herz der Narren. Roman, Aus dem Amerikanischen von Lutz-W. Wolff, Dtv, München 2001, 312 S., Paperback, 28,00 DM