Stephan Maus

Sven Lager, Elke Naters (Hrsg.): ‘the Buch. leben am pool’ (FAZ)

Bin Ladens Deo-Roller - 22 Autoren im Chatroom: “the Buch. Leben am pool” (FAZ, 27.10.01)

Das architektonische Zeichen von Erfolg, sozialem Prestige und Glamour ist der Pool. Der Pool holt ein bißchen Jet-Set-Gefühl in die eigenen vier Wände und ist aus der Vogelperspektive das I-Tüpfelchen auf jedem Eigenheim. Das junge Autoren-Pärchen Elke Naters und Sven Lager wollte auch einen Pool. Im Jahre 1999, als die Internet-Aktien noch gut im Kurs standen, eröffneten sie unter der Webadresse www.ampool.de ein Literaturforum, in dem ausschließlich geladene Autoren ihre Texte veröffentlichen konnten. Elitärer Jacuzi statt demokratisches Freibad. Als die Website Opfer eines Hacker-Angriffes wurde und anonyme Autoren im Namen der etablierten Schriftsteller schrieben, schlossen die Verantwortlichen schnell ihr Forum, bis der Angriff abgewehrt war. Qualitativ war sicher kein Unterschied zu bemerken.

Anfang diesen Jahres wurde die Cyber-Heldin Lara Croft aus der virtuellen Welt in das traditionelle Medium Film überführt. Und nun gibt der Verlag Kiepenheuer & Witsch eine Auswahl an Texten aus dem Internet-Forum als Paperback heraus. Lara Croft – Der Film. Leben am Pool - the Buch. Der Titel ist natürlich the Scherz. Beruhigend für alle Kulturpessimisten und Technik-Kritiker: am Ende, wenn alles Risikokapital riskiert und aller Cashburn verglüht ist, wenn die gefallenen Business Angels und New-Economy-Cherubim Flügelspitzen kauend in der Ecke hocken, zählt doch wieder nur der Buchwert. So kam Rainald Goetz´ Online-Tagebuch „Abfall für alle“ bald als Hardcover bei Suhrkamp heraus und wurde verkaufsfördernd aus dem Netz genommen. Thomas Hettche gab Texte aus seinem Internet-Projekt „Null“ als bibliophil anmutende Textsammlung auf losen Druckbögen heraus. Hier unterstrich eine bewußt archaisch anmutende Präsentation der Texte den Kontrast zum ursprünglichen High-Tech-Medium. Schweres, fransiges Papier statt immaterieller Einser und Nullen; - und im Cyberspace wuchern die Links ins Leere.

Obwohl alle gängigen Web-Browser die Funktion „Print“ haben, mit der jeder Leser ganz nach Belieben seine Lieblingstexte aus dem Netz zuhause ausdrucken lassen kann, schicken die Verlage die Netzliteratur durch ihre Druckpressen. Was ist nun das Spezifische an dieser Literatur aus dem Netz? Eigentlich nichts, außer ihrer virtuellen Qualität und ihrer Kürze. Die Länge der Texte wird in der Netzliteratur meist von der Länge des Computerbildschirms diktiert; muß der Leser zu viel scrollen, wird er sich trollen. Das Medium drückt den Texten seinen Stempel auf. Doch nur in der Form, nicht in der Funktion. Hin und wieder treten die Texte unterschiedlicher Autoren zwar miteinander in Dialog, doch selten nutzen die Vernetzten die Möglichkeit, Motive, Themen oder Fragen wieder aufzunehmen und auch ihre Textbausteine zu vernetzen.

Das hochtechnisierte Medium mit all seinen Kabeln, Sonderzeichen und surrenden Kühlaggregaten scheint viel Verfremdungseffekt zu versprechen und es so den Cyber-Autoren zu erleichtern, besonders ungehemmt über sich selbst zu schwadronieren. Hinter dem Schutzwall der Technik schwindet jede Scham. Im Bildschirm spiegelt sich das Gesicht des Schriftstellers, im Text dreht sich alles um das Ego des Autors. Oft erlauben sich die Herausgeber Elke Naters und Sven Lager das zwiespältige Vergnügen, ihre Beziehung online zu zelebrieren. Love-Parade in Echtzeit. Am Pool wird die Familienzelle zum Keim der weltweiten Vernetzung. Heraus kommt globale Vetternwirtschaft einer narzißtischen Autoren-Clique. Das ist die Globalisierung des Prinzips Kegelverein.

Viele der Pool-Autoren beschäftigen sich hauptberuflich mit Stilkritik. In allen möglichen Medien erläutern sie, welche Krawattennadel zu welchem Sockenlabel paßt. Seltsam, daß noch keiner dieser Dandys gemerkt hat, daß die Vermeidung unbehauener Privatanschauungen zu den ersten Voraussetzungen von literarischer Stubenreinheit gehört. Gerne heben die Autoren auch einfach nur den Blick und chatten flugs ins Medium, was draußen vor dem Fenster so los ist. Der Meister solch semi-lyrischer Hinterglasmalerei ist Eckhart Nickel, dem beim Blick durchs Thermopane noch immer eine raunende Allegorie auf das Leben schlechthin einfällt. Ihm entgeht keine Mode-Sandalette und kein Style-Accessoire, die in Blickweite seines Atelier-Ausgucks vorüberziehen. Verläßt er das Haus, gibt ihm die verzweifelte Suche nach seinem Lieblingsdeoroller (Linique!) einen Denkanstoß. Roll on. Solche Texte tragen das fragwürdige Label Pop-Literatur und sind mittlerweile zur literarischen Leitkultur avanciert. Das technisch höchste Niveau, das ein Autor mit diesem sorglos-shakernden Genre erreichen kann, läßt sich derzeit in einer Long-Copy-Anzeige für den Sportschuh „Air-Presto-Cage“ von Nike begutachten. Mehr ist nicht drin. Just avoid it.

Am Pool sonnt sich der landläufige Kiepenheuer & Witsch-Pop zusammen mit dem klassischen Suhrkamp-Pop, der von dem Autor Andreas Neumeister verkörpert wird. Manchmal färbt ein bißchen Frankfurter Diskurs-Pop auf die frischfröhliche Pop-Kom-Generation KiWi ab: „Die Luft wird immer schwerer und zäher, es ist rätselhaft, wie mein Körper aus dieser Gallert-Masse noch Sauerstoff filtern kann, wahrscheinlich tut er es gar nicht, meine Atome werden nur durch Schall und Opiate zusammengehalten, ich habe eine andere Existenzform angenommen, und mein Traum ist greifbar nah, er nimmt Konturen an, materialisiert sich unter Sauerstoffabschluß wie anaerobe Bakterien, die ihre Energie ausschließlich durch Gärung gewinnen.“ Britta Höpers kurzer Anfall von Was-ist-was-Prosa klingt hier ganz nach der spätexpressionistischen Club-Prosa des dionysischen Rainald Goetz. Meist jedoch schwirren die Jüngeren unbesorgter von Nichtigkeit zu Nichtigkeit. Kleinster gemeinsamer Nenner aller Pop-Literaten scheint die englische Allwetter-Jacke der Marke Barbour zu sein, in deren geräumige Rückentasche problemlos ein erlegter Fuchs, ein Band von Bret Easton Ellis und alle Platten von Madonna passen.

Der Reporter Andrian Kreye macht sich in einer Philippika gegen die kulturlosen Dotcom-Millionäre eine bemerkenswert anachronistische Idee vom Autor in modernen Zeiten: „Schriftsteller leiden für ihr Werk jahrelang in ihrer Kammer, bevor sie ihren Ruhm genießen dürfen.“ The Buch beweist das Gegenteil. Die virtuellen Literaten zelebrieren ihre alltäglichen Wehwehchen in Echtzeit vor den Augen der deutschsprachigen Welt, um den kurzen Ruhm schnell in Verlagsvorschüsse umzumünzen und ähneln hier der kapitalverzehrenden New-Economy-Blase sehr. Was früher sang- und klanglos als Rohmaterial in der Schublade verschwand, wird heute mit einem Mausklick einfach ins Netz gestellt, um ein Jahr später vom Cyber- in den Regalspace downgeloadet zu werden. Der Pop-Urahn Rainald Goetz hat hier seherisch wie immer schon alles zum Thema gesagt: Abfall für alle. Hauchdünne, sich um sich selbst kringelnde Hobelspäne aus den Schreibwerkstätten.

Der begabte Schickeria-Interviewer Moritz von Uslar zum Beispiel leidet an Schreibhemmungen, sobald er nicht mehr nur Fragen stellen darf, sondern, hey, einfach mal eigene Texte schreiben soll. Seine Blockade verbrämt er am Pool mit verquasten Texten in locker gefügtem Zeilenumbruch: „Ah ja. / Na dann: Prost. / Apfel A. Und weg.“ Leider eben nicht. Aber wurscht, Literatur ist ihm sowieso zu langsam: „Es müßte noch schneller gehen, das Hintippsen. Bitte, am besten, idealerweise: sprechschnell.“ Prosa als selbstversunkenes Interview mit dem eigenen Bauchnabel. Sven Lager scheut ebenso wenig vor der klassischen Rache des Schriftstellers wie vor einem Brotkasten voller schimmliger Vergleiche zurück: „Meine frühere Freundin war dumm wie Brot.“ Seine jetzige Partnerin Elke Naters darf schon mal gespannt sein. Sie findet derweil ihren Bauch zu dick und pumpt das Übergewicht in ihre Texte ab: „Über meinen Bauch kann ich Seiten füllen.“ Überhaupt stehen diese unkomplizierten Stegreif-Autoren verwundert vor dem mysteriösen Laboratorium ihrer jungen Körper und erstatten begeisterten Rapport über wunderbare Alchimien: „Liebe Nelke, ich habe sicher 15 Äpfel heute getrunken, 2 sehr große Rote Bete und 12 Möhren. Der Entsafter macht Spaß. Mein Urin ist pink.“ Wenn Literatur zum autobiographischen Entsafter gerät, macht sie nicht mehr so viel Spaß. Für die Rekonstruktion des Lebensgefühls zu Beginn dieses Jahrtausends wird das Buch allerdings viel interessantes Material bereithalten. Genau wie der Quelle-Katalog. Warum solche Autoren nicht einfach eine Kosmetik-Linie kreieren und aufhören, die internationalen Lifestyle-Magazine für den deutschen Markt zu adaptieren, bleibt offen.

Das Layout des Buches ist aufgelockert von Bildern. Einige sind von dem Fotografen Marc Brandenburg, dessen Oeuvre laut biographischer Notiz ein „Substrat von amorphen Eindrücken“ ist. Leider substrahieren sich auch die meisten Texte von sehr amorphen Eindrücken. Insgesamt bemühen sich die Autoren, so weltumspannend wie das Internet selbst zu sein. So entsteht zwischen New York und Bangkok, Los Angeles und Berlin ein Netz von Miles-and-more-Schnipselchen. Einzig Andrian Kreye und der Interview-Fälscher Tom Kummer vermögen Interessantes aus der Ferne zu berichten. Elke Naters hingegen sitzt einfach mailend in Bangkok und wartet auf die neueste Ausgabe der „British Vogue“. Die Telefone der meisten Autoren haben mehrere Standleitungen, was die zahllosen mitstenographierten Telefongespräche in immer lästigere Abzweigungen treibt. Und Bin Laden? „Sieht wirklich richtig gut aus. Augen eines Wahnsinnigen.“ Doch sein Deo-Roller kennt keiner. Hier beschreibt einer Geranien, dort einer die zerstochenen Venen eines Fixers. The Buch ist ein Krabbeltisch, in dem man auch mal ein Schnäppchen machen kann. In jedem Quark stecken Rosinen: Katrin Glosch inszeniert eine Reihe präziser, nüchterner Epiphanien.

Lesen läßt sich ein solches Sammelsurium ohne Hand und Fuß schlecht. Man kann es höchstens schnell überbrowsen. Hier empfiehlt sich Schnupperlesen. Der Pool ist ein flaches Nichtschwimmerbecken. Schnell sehnt man sich nach dem offenen Meer.


Sven Lager, Elke Naters (Hrsg.): the Buch. leben am pool, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 379 S., 25,50 DM